Geschichte und Geschichten: Mit der bunten Palette eines Malers
Eine Wanderung über die Hügel und Triften vor Korbachs Toren – Von Helmut Ulrich
Griffen nicht Korbachs Landstraßen mit Ihren dichten, gepflegten Baumreihen von der Stadtgrenze auf die Hochfläche ringsum aus, die öde und nahezu busch- und baumlose Weite der Landschaft wäre trostlos. Nur nördlich und südlich der Stadt bringen Hügel und flache Täler Abwechslung in das monotone Bild, das sich vor dem sanft geschwungenen Halbrund des Schiefergebirgsrundes im Westen dehnt. Zechstein und Buntsandslein sind die Grundlagen der sich an diesen Gebirgsrand anschließenden Hochfläche, und der Wechsel der geologischen Formation hat eben das Landschaftsbild geprägt. Das bewegte Auf und Ab der schroffen Berge und tief eingeschnittenen Täler weicht mehr ebenflächigen Formen. Der Wald hört fast genau an der Formationsgrenze auf, und Äcker und Weiden beherrschen, soweit die Hänge nicht zu steinig und trocken sind, das Bild. Gerade diese Zechsteinhügel und -hänge sind es aber, die den Naturfreund interessieren und auch die Korbacher zu Spaziergängen in die Umgebung ihrer Stadt bewegen. Hier haben sich Pflanzen erhalten, die vor Jahrtausenden aus Süd- und Südosteuropa in der Nacheiszeit eingewandert sind und infolge günstiger Lebensbedingungen hier eine neue Heimat fanden. Licht und Sonne gibt es die Fülle; Trockenheit und Kälte schaden den Siedlern der Triften und steinigen Hügel nicht.
An den nach Norden geneigten Hängen vermag der Graswuchs noch einigermaßen zusammenhängende Flächen zu bilden, auf der Sonnenseite hingegen können sich die Gräser oft nur büschelweise behaupten, denn die Humusschicht ist dünn. Wasser versickert schnell im porösen Gestein, Wärme wird gespeichert. Trotz der Armut des Bodens zählt die Triftblumenflora zu den schönsten Pflanzengemeinschaften, die es überhaupt gibt. In leuchtenden, bunten Farben glühen die Blüten, viele erfüllen die Luft mit aromatischem Wohlgeruch. Der starre, stachelige Schlehdorn verschwendet sich in einem weißen Blütenschleier, Brombeerranken klettern über bröckelige Felspartien. Heckenrosen, Wacholder, Weißdorn und Liguster beleben zusammen mit Kieferngruppen z. B. den Schanzenberg, die Hänge an den Kalkbrüchen beiderseits der itterschen Straße, am Krähen Wäldchen, Müllers Berg und seitlich der Bahnlinie zum Dalwigker Gedenkstein hin.
Sind früh im Jahr die Blütenkerzen des Lerchensporns erloschen, sind Hungerblümchen und Veilchen verblüht, erheben sich gerade am Schanzenberg und an den Hängen bei Dingeringhausen bescheiden wirkende, blaßviolette Blütenstände über das sich frisch belebende Gras; es ist das als erste Orchidee hierzulande blühende Dreizähnige Knabenkraut. Es findet hier mit einem reichen Vorkommen seine westliche Verbreitungsgrenze. Ihm zu Ehren haben sich zur gleichen Zeit auch einige elegante Gräser mit silberweiß schimmernden Grannen geschmückt. Leuchtend gelb sind weite Strecken im beginnenden Sommer, wenn der zierliche Hufeisenklee, der Horn- und wollige Wundklee mit den empfindlichen Blüten des Sonnenröschens ihre schönste Pracht entfalten und mit den dichten Polstern von Mauerpfeffer und Thymian an Farbkraft zu wetteifern suchen. Kleine gesellige Pflänzchen, leicht zu übersehen und doch charakteristisch für die Pflanzenwelt der Triften, mischen sich in den bunten Blütenteppich: der zart-violett blühende Hügelmeier, der Purgier-Lein, Fingerkraut-Arten, Hornkraut, Hahnenfuß und Ehrenpreis. Selbst ein winzig kleiner Farn behauptet sich in dem zierlichen Gewirr, die Mondraute, in der Größe höchstens dem kleinen Finger entsprechend.
In höchster Pracht stehen die Hänge, wenn zu Füßen von dichtem Gebüsch die Schönsten der Sommergesellschaft ihre Blumenaugen öffnen. Manch schmaler Rain zwischen Aeckern gleicht dann an verschwenderischer Farbenfülle der Palette eines Impressionisten. Neben der nickenden Felsendistel schwanken die Blütenkörbchen der Skabiosen, prächtige, dunkelviolette Brunellen wechseln mit dem kräftigen Blau des Genfer Günsels und dem etwas lichteren Blau der Knäuel-Glockenblumen. Üppig wuchern gelb und weiß die Labkräuter um reiche Bestände des Aufrechten Ziestes und der quirlblütigen Salbei. Aus den Getreidefeldern grüßen Klatschmohn, Kornblume und Rittersporn herüber, und auch die Blütensterne des Frauenspiegels, Wicken und andere, zum Teil recht seltene Aeckerunkräuter tragen mit dazu bei, das sommerselige Bild zu bereichern. Jetzt freuen sich auch die schnellen Segelfalter des Blumenflors und trinken den Honigsaft der Blüten.
Natürlich sind nur einige Vertreter der reichhaltigen Flora der Korbacher Hochfläche genannt, sehr seltene Arten sind um ihrer selbst willen verschwiegen worden. Auch an den qualligen und feuchten Senken (Marbeck, Ellerbruch, ln der Laake) wollen wir vorübergehen, obwohl sie ebenfalls eine bemerkenswerte Pflanzenwelt besitzen, und unsere Schritte zum Dalwigker Holz lenken, dessen Reichtum an Besonderheiten einer kalkliebenden Flora schon viele Pflanzenfreunde begeistert und angezogen hat. Abgesehen von Seidelbast, Maiglöckchen, Salomonssiegel, der Türkenbundlilie, Alpenziest und Haargerste treffen wir dort die viel bewunderten Knabenkrautgewächse oder Orchideen in reicher Zahl. Sie stehen meist einzeln und zerstreut. Vom Waldvögelein (Cephalanthera) bemerken wir drei Arten, das rote, blaßgelbe und weißblütige. Wie zierlich sind die herrlich duftenden Waldhyazinthen! Einen düsteren Eindruck macht die blasse, braungelbe Nestwurz, ein typischer Humusschmarotzer ohne Blattgrün. Andere Orchideen trifft man mehr am Waldrand an, die gelbgrüne und rote Sumpfwurz, letztere wegen ihres feinen Duftes die deutsche Vanille genannt. Das gefleckte Knabenkraut und die rötliche Händelwurz bilden auf etwas feuchterem Boden stellenweise größere Gesellschaften. Nur der Kenner kann unter Kiefern und Buchen das im Moos kriechende Netzblatt oder die größten Seltenheiten dieses Waldes, die kleinblättrige Sumpfwurz und den wie ein zartes Glasbläsergebilde anmutenden Widerbart finden.
Wer weiß es heute noch zu schätzen, einmal mit offenen Augen über die Triften und durch die Wälder vor unseren Stadtmauern tu wandern und sich an Steinen. Tieren und Blüten zu erfreuen? Wir sollten es wirklich öfter tun und uns aufraffen, zu diesen kleinen, bescheidenen Freuden des Lebens vorzudringen, denn die Natur zeigt uns immer Wunder auf Wunder.