2024 20. 02. Geschichte und Geschichten aus Sachsenhausen

1973 WLZ 05. 05.
In der Müllgrube entdeckt
Die Sachsenhäuser Stadtrechnung von 1750/51 — Von Friedrich Sauer, Höringhausen

(Fotografiert und abgeschrieben am 20. 02. 2024 im Stadtarchiv Korbach, Heinrich Figge)

Vor mir liegt ein Buch mit stark ver­gilbtem Einband, das auf recht seltsame Art, jedoch auf in unserer heutigen „Wegwerferzeit“ nicht ungewöhnlichem Wege in meinen Besitz gekommen ist. Der auf­merksame Wärter der Höringhäuser Müll­grube fand das Buch vor einigen Wochen im angefahrenen Müll. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er feststellte, daß es sich um ein über 200 Jahre altes Buch handelte. So kam ich in den Besitz des Buches. Es wird künftig seinen Platz wieder dort finden, wo es hingehört, näm­lich im Stadtarchiv Sachsenhausen.
Genau gesagt handelt es sich um die in Leder gebundene
„Stadt und Milizrechnung der Stadt Sachsenhausen de Michaeli 1750 bis dahin 1751, Erhoben und Berechnet von Pfennigmeister und Receptoren Wilhelm Fischer.“
Sie ist handschriftlich in der damaligen deutschen Schrift vom Secretarius der Stadt geschrieben und enthält auf 150 Sei­ten alle Einnahmen und Ausgaben der Stadt Sachsenhausen. Die Aufzeichnungen der einzelnen Einnahme- und Ausgabe- posten sind zum Teil so ausführlich, daß sie heimat- und familienkundlich auch heu­te noch wertvoll sind. Es handelt sich zwar immer nur um Geldeinnahmen und Ausgaben. Sie vermitteln ein buntes Bild von der damaligen Gesellschaft.

Michaelis – ein wichtiger Termin

Michaelis (29. September) war in frühe­ren Jahrhunderten in Waldeck ein wichti­ger Termin. An diesem Tage wurden nicht nur Kauf- und Mietverträge geschlossen, es war auch der Stichtag für das Rech­nungsjahr.
In langen Namenskolonnen sind die 135 Namen der Sachsenhäuser Bürger und Be­träge in Reichsthaler, Silbergroschen und Pfennigen aufgeführt, die an Schatzung, Zins- und Wachtegeld zu zahlen waren. 64 Bürger zahlten Gartengeld für gemietete Gärten und 38 Bürger das sog. Haagengeld, wobei es sich um die an der Stadtmauer liegenden Grundstücke handelte, die im städtischen Eigentum stehend von den 38 Bürgern genutzt wurden.

135 Familiennamen

Eine ganze Reihe der in der Rechnung aufgeführten Familiennamen sind auch heu­te noch in Sachsenhausen zu finden. So auch der Name „Piperling“, der heute Pfeifferling geschrieben wird.

Kuriose Einnahmen

Unter den Einnahmen gab es recht ku­riose, von denen ich hier nur einige nennen will. Unseren heutigen Stadtvätern will ich aber damit beileibe keine Hinweise geben auf noch künftig zu erschließende Einnah­mequellen. So heißt es z. B.: „Jede fremde Weibs Person so sich anhero an einen Bür­ger verheiratet, muß halb so viel wie ein fremder Mann so hier Bürger wird geben, nemlich 5 Reichsthaler. Weilen aber in dienern Jahr Keine frömde Weibs Person anhero geheiratet, ist anhero nichts zu berechnen. —

Einstand bei den Schützen

Oder: „Wer sich bey hiesiger Schützenbrudenchaft begeben will, muß zum Einstande Geld erlegen. Wann er frömd und Kein Bürgers Kind 1/2 Reichsthaler, ein Bürgers Kind aber 1/4 Reichsthaler und haben sich dies Jahr laut der Dechanten gegebener Spezifikation zur Hinnahme gekaufft noch folgende Börgers Söhne Johannes Christian Scheid und Johann Daniel Sonnenschein. In einer weiteren Einnahme ist auch gesagt, daß das Einkaufen durch einige Metzen Korn möglich war.

Drei Jahrmärkte

Drei Jahrmärkte fanden statt, bei denen ein Standgeld eingenommen wurde:
auf d. Adventsmarkt 1750, 4 Silbergroschen, 1 Pfg. auf das Candate Markt 1751, 2 Silbergroschen, 5 Pfg. auf das Bartholomä Markt 1 Silbergroschen 8 Pfg.
„Von den Wollenweber und Leineweber Zunfft ist laut des Zunftmeisters attestat nichts gefallen in diesem Jahr,“ heißt es weiter.

Sechs Pfennig für die Miststätte

Besonders erheiternd sind die folgenden Einnahmevermerke:
„Einige Bürger, so nahe am Rathhauß wohnen, geben von de­nen Gebrauchenden Mistenstätten zu Urkund der Stadt jeder 6 Pfennig.“
Oder: „Wie ein Stadt Reidt Ochse matt und abständig worden, daß selbiger des­halben abzuschaffen vor Gut befunden. So ist selbiger an den Stadtdiner Verkaufft vor 5 1/2 Reichsthaler.“

So gab es noch zahlreiche andere Ein­nahmen wie z. B. Wegegeld, Braugeld, Trifftgeld usw.

Die Gesamteinnahmen für das Jahr 1750/51 betrugen 1719 Reichsthaler, 19 Silbergroschen und 9 1/2 Pfennige.

Auf der Ausgabenseite

Die Ausgaben sind ebenso interessant und vermitteln uns einen Einblick in die damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse. Zur Milizrechnung (Kriegskasse, Schulden oder Einlösungskasse und Landkasse) wur­den 950 Reichsthaler verausgabt, an die Hochfürstliche Cammer 56 Reichsthaler Wachtegeld und an den Landrenthmeister zu Corbach 35 Reichsthaler Servisgeld ge­zahlt.
Vom Wachtegeld waren befreit, der Re­gierende Bürgermeister, Secretarius, Pfen­nigmeister und der Organist und Mägdenschubneister Justian Schluckebier. Sieben armen Wittwen wurde es ganz erlassen.
224 Reichsthaler wurden verausgabt für Pension. Dabei handelte es sich nicht um Pensionen oder Ruhegelder für Stadtbe­dienstete, sondern um Zinsen für geliehene Kapitalien.

Bescheidene Dienerbesoldung

Besonders interessant ist die auf vier Seiten aufgeführte Diener-Besoldung, sie war mehr als bescheiden. Dem Herrn Stadt­richter gewährte man ein „frey Geschoß von 1 Reichsthaler, demselben.  Vor Beaydigung Neuer Bürger 14 Silbergroschen. Dem regierenden Bürgermeister Thomas Weber seine Besoldung betrug 6 Reichsthaler so­wie ein frey Geschoß von 17 Silbergroschen und 5 1/2 Pfennigen. „Dem Secretario sei­ne Besoldung quartaliter (im Quartal 10 Reichsthaler) aber Insges. 40 Reichsthaler.“ Drei Reichsthaler und und frey Geschoß in Höhe von 1 Reichsthaler und 2 Silbergroschen war die jährliche Besoldung des Pfennigmeisters. Allerdings erhielt er zu­sätzlich als Receptori nochmal 16 Reichsthaler. Stadtdiener Stephan Tent sein Jahreslohn betrug 8 Reichsthaler für freye Wohnung wurden ihm 2, für empfangene Garben Frucht 3 Reichsthaler vergütet. Außerdem bekam er noch ein Paar Schuhe für 15 Silbergroschen und 9 Pfennige, Feldschütz Henrich Sonnenschein erhielt 10 Reichsthaler, dem Wegegeld Receptori und Ratsgewanten Georg Tilcher wurden für Erhebung des Wegegeldes 7 Silbergroschen gezahlt. Organist Schluckebier seine Be­soldung betrug 1 Reichsthaler, 10 Silber­groschen und 6 Pfennige, für freie Woh­nung wurden ihm 2 Reichsthaler angerech­net und den gleichen Betrag erhielt er noch als Mädgen Schulmeister. Die beiden Nacht­wächter – sie besorgten auch gleichzeitig und abwechselnd das Abendt Leuthen – erhielten 7 Reichsthaler Lohn und ein paar Schuhe. Den beiden Pförtnern am oberen Thor und am unteren Thor wurde ein Schließgeld von 12 Silbergroschen bezahlt.
Dazu erhielten beide je ein Paar Schuhe. Die drei Wildwächter der Stadt erhielten jeder ein Paar Schuhe.
8 Seiten der Ausgabengelder sind allein gefüllt mit sogenannten „Herren Verschic­kungen“ (heute nennt man das Reiseko­sten), wobei für viele Wege, die nach außerhalb der Stadt gemacht werden muß­ten, geringe Beträge gezahlt wurden. Wenn z. B. „einer der Bediensteten der Stadt ein Schreiben nach Arolsen, Corbach, Mengeringhausen usw. zu tragen hatte, oder in der Papiermühle in Twiste mußte ein Ries Schreibpapier geholt werden und bei noch vielen anderen Angelegenheiten.
Als die Stadt Wadeck im Juni ihren Schnadezug gehalten, mußten der Bürger­meister, Secretarius, Pfennigmeister, ein Gemeinsherr nebst dem Feld und Gräntz Knecht der Stadt daran teilnehmen. Ebenso bei einer „Gräntzregulierung auf die Hö­ringhäuser Gräntze“, die auf Anordnung der Hochfürstl. Cammer und des Hauses Darmstadt erfolgte. Einmal wurden 14 Silbergroschen bezahlt, als der Gemeinsherr Kann, der Stadtdiener und Kuhhirte von Stadt wegen ausgeschickt wurden, einen Reitochsen auszukundschaften. Es heißt dann: „ – und haben am 2. Tag einen zu Buhlen gekaufft und anhero gebracht.“

Großzügig beim Freischießen

Besonders interessant sind auch die Ein­tragungen der Einzelposten beim abgehal­tenen Freyschießen, Hierbei wurden 18 Reichsthaler und 18 Silbergroschen veraus­gabt. Man war da also recht großzügig. Die Gesamtausgaben betrugen 1705 Reichsthaler, 17 Silbergroschen und 2 1/2 Pfg. Es blieb aber immer noch, wenn auch ein kleiner, Überschuß.
So war das vor 200 Jahren. Man war da­mals noch recht anspruchslos und begnügte sich mit einemPaar Schuhe als Entlohnung. Solltenwir nicht heute in manchen Dingen auch etwas bescheidener sein?
Außerdem sollte man beim Entrümpeln auch nicht so ohne weiteres der Mülltonne anvertrauen. Auch die Vergangenheit hat uns heute noch etwas zu sagen.

Wappen der Adelsfamilie von Gudenberg am Einfahrtstor zum früheren Gutshof der Wölfe von Gudenberg in Höringhausen. (Zeichnung nach dem Original von Friedrich Sauer, Höringhausen)