2023 WLZ/Mein Waldeck 14. 07. Keramikscherben, Knochen und Schmuck2023 WLZ/Mein Waldeck 14. 07.
30 Jahre lang vergessene Grabungsfunde aus der Netzer Kirche sind wieder aufgetaucht
VON DR. PETER WITZEL †
Der Grundriss der Netzer Klosterkirche: In hellrot ist die älteste romanische Basilika mit einer halbrunden Apsis eingezeichnet, von der nur der mächtige Turm rechts übrig geblieben ist. In Dunkelrot sind die Umrisse der dreischiffigen Basilika mit eckigem Altarraum gehalten. In grau sind die Umrisse der jetzigen Kirche zu sehen: Eine zweischiffige gotische Kirche, oben ist der Anbau der Nikolaus-Kapelle zu erkennen. Dr. Jens Kulik hat auch die Lage der Grabungsfunde eingezeichnet.
Unter den romanischen Kirchen Waldecks ist die ehemalige Klosterkirche „Maria im Thale“ in Netze etwas Besonderes. Vieles über ihre fast 900-jährige Geschichte ist heute bekannt. Einiges wartet noch darauf, entdeckt zu werden. Manches wird für immer verborgen bleiben.
Da ist es umso erstaunlicher, dass im November 2022 eine große Menge von Grabungsfunden von einer Flächengrabung 1989 im gesamten Innenraum der Kirche in einem Stall im Zentrum der Korbacher Altstadt „wiederentdeckt“ wurde: In mehr als 50 Kästen und Kartons waren große Mengen an Tonscherben, kleine Metall- und Schmuckteile und vor allem Schädel und Skelettteile ungeordnet und unbeschriftet gestapelt worden. Lediglich auf einigen Kartons stand der Vermerk „Kulick 1989“. Damit war die Herkunft klar: Der Diplom-Geologe Dr. Jens Kulick hatte 1989/90 in der Netzer Klosterkirche eine Flächengrabung geleitet.
Das Landesdenkmalamt hatte Kulik 1973 damit betraut, die größte mittelalterliche Goldabbaustätte in Deutschland, den Eisenberg bei Korbach, daraufhin zu untersuchen, ob noch abbauwürdige Goldvorkommen vorhanden seien. Mit einer Gruppe Marburger Geologiestudenten als freiwilligen Helfern hatte Kulick in vielen Wochenend- und Ferieneinsätzen 1975 bis 1988 Stollen, Schächte und Strecken im Eisenberg wieder „aufgewältigt“ und vermessen und zahllose Gesteins- und Bodenproben untersucht.
Und er war zu dem Schluss gekommen: Etwa zwei Tonnen Gold sind dort während der Blütezeit des Bergbaus vom 13. Jahrhundert bis zum Dreißigjährigen Krieg gefördert worden. Nochmal etwa halb so viel hat der Berg großflächig, fein verteilt zurückgehalten. Aber dieses Gold wird unter ökonomischen Gesichtspunkten im Untertagebau nie mehr gefördert werden können.
Einige Goldabbau-Unternehmen haben bis in die 1980er-Jahre hinein nochmals mit Probebohrungen untersucht, ob eine Rentabilität bei weiterem Untertageabbau zu erreichen sei, sie kamen aber zu demselben Ergebnis. Damit waren die Explorationen nach dem Gold im Eisenberg abgeschlossen.
Bei der Vielzahl von Probeschürfen und Grabungen war das Team der „Archäologischen Arbeitsgemeinschaft Eisenberg“ auch auf die Grundmauern der mittelalterlichen Burg auf dem Gipfel gestoßen. Zu jener Zeit waren sie völlig von Fichtenhochwald überwachsen.
Zum Teil auch mit schwerem Gerät einer Korbacher Baufirma konnten die noch erhaltenen Grundmauern und der Burggraben wieder freigelegt werden. Die Mauerkronen wurden durch Zementabdeckungen gegen Verwitterung geschützt, sodass das ganze Areal heute begehbar ist. Neben dem Übergang an der Stelle der früheren Zugbrücke wurde am Gemäuer eine Tafel angebracht mit dem Text:
„Dem Ritter für Natur- und Umweltschutz und Leiter der Ausgrabung Burg Eisenberg, Dr. Jens Kulick 1931-1996.“
Dr. Kulick war inzwischen nach Korbach gezogen und hatte die Leitung des Heimatmuseums übernommen – heute das Wolfgang-Bonhage-Museum.
Das wusste auch der langjährige Vorsitzende des Netzer Kirchenvorstands, Karl Kann. Er ist mit dem Gotteshaus geradezu“ verheiratet“. So kennt er auch den kostbaren, fast fünf Meter breiten Flügelaltar aus dem Jahr 1370 mit seinen 13 Bildtafeln über das Leben Jesu von der Verkündigung bis zur Himmelfahrt – es ist das bedeutendste Kunstwerk der Kirche. Schon 1983 stellte er an einigen Stellen des Altarbildes „fingernagelgroße“ Abplatzungen der Malschicht vom Untergrund fest.
Durch Feuchtigkeit aus dem Kirchenboden und verstärkt durch die 1959 eingebaute Bankheizung hatten sich Wechselwirkungen für das Raumklima ergeben. Das hatte zu fortschreitenden Schäden an dem etwa 600 Jahre alten Retabel geführt – mit diesem Klimastress nach dem Einbau von Heizungen hatten im 20. Jahrhundert viele Altarbilder in Kirchen zu kämpfen.
Die Schäden bereiteten Karl Kann große Sorgen. So wandte er sich zunächst an die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck. Sie erklärte sich jedoch für nicht zuständig und verwies ihn an die Werkstatt des Landeskonservators in Wiesbaden-Biebrich. Deren damaliger Leiter Dr. Scholey kam dreimal nach Netze, um die Schäden zu inspizieren. Nachdem die Diplom-Restauratorin Uta Reinhold vor Ort gefährdete Stellen durch spezielle Klebepflaster geschert hatte, wurde der südliche Altarflügel abgebaut und zur Untersuchung nach Wiesbaden gebracht. Danach wurde auch der restliche Altar abtransportiert. Knapp zwei Jahre wurde das Altarbild dort gründlich restauriert.
Die Rückkehr an seinen angestammten Platz wurde aber an strenge Auflagen geknüpft: Bei früheren Bodenarbeiten in der Kirche war festgestellt worden, dass sich unter den 1846 verlegten Steinplatten eine etwa 30 Zentimeter dicke Schicht von Gartenerde befand. Sie musste im Zuge der Trockenlegung vollständig entfernt werden. Der gesamte Fußboden musste erneuert werden und die alte Bankheizung durch eine moderne, klimagesteuerte Ölheizung ersetzt werden, um so das Raumklima steuern zu können.
Im Zuge des anstehenden Umbaus erhoffte sich Kann auch weitere Erkenntnisse über die Grundmauern der Vorgängerkirchen. Als der Lehrer Friedrich Hoffmann die Kirche mit einer Schulklasse aus Herzhausen besuchte, gab er die Anregung zu einer Flächengrabung im gesamten Innenraum der Kirche, um die noch unerschlossene Bauhistorie der Klosterkirche zu ergründen.
Diesen Gedanken griff Kann sofort auf. Dafür musste er zuerst die Kirchengemeinde mit Pfarrer Dr. Robert Eidam gewinnen. Alle kirchlichen, formalen, finanziellen und emotionalen Hürden konnten in den Folgejahren überwunden werden.
Archäologische Sachverständige sollten die Grabungen überwachen. Ein kommerziell arbeitendes Ausgrabungsinstitut hatte „überhöhte finanzielle Forderungen“, so beschlossen der Kirchenvorstand und der Bezirkskonservator Dr. Michael Neumann, die von Dr. Kulick initiierte und geleitete Arbeitsgemeinschaft zu bitten, die Tätigkeiten in Netze zu überwachen und, soweit erforderlich, selbst zu übernehmen. „Dr. Kulick hat mein vollstes Vertrauen“, erklärte Dr. Neumann.
Dr. Kulick war inzwischen bekannt geworden durch Knochenfunde des „Urzeitdackels“ Procynosuchus, einem höchst seltenen Fossil aus der Perm-Zeit, die er in der „Korbacher Spalte“ entdeckt hatte, einem Kalksteinbruch in Süden der Stadt.
Karl Kann suchte ihn in Korbach auf und bat ihn, einen Weg zu finden, wie der Kirchenboden in Netze zu untersuchen wäre. Viele noch unbeantwortete Fragen wie nach einer Vorgänger-Kirche, nach der Überbauung der ursprünglich einschiffigen, romanischen Kirche durch ein apsisloses, zweischiffiges, gotisches Langhaus und nach dem Anbau der Grabkapelle für die Waldecker Grafen fänden vielleicht Antworten.
Die Grabung in Netze fand sofort das Interesse von Dr. Kulick. Das Landesdenkmalamt erteilte ihm den Auftrag, nicht nur einzelne Stellen, sondern flächenhaft den gesamten Kirchenboden bis in ein Meter Tiefe zu untersuchen. Ein derart großer Auftrag erforderte auch Gelder.
Da traf es sich gut, dass die Kirche 1989 sowieso ausgeräumt und der Boden aufgegraben werden musste, um die neue Heizung einzubauen. Nur der Altarblock und der Taufstein durften bleiben.
Dr. Kulick „rekrutierte“ – wie schon am Eisenberg – begeisterungsfähige, kundige Mitarbeiter, zu denen auch die junge Archäologin Dr. Brigitte Pflug gehörte – sie hatte später an Kuliks Seite die Grabungsleitung bei den archäologischen Untersuchungen vor der Erweiterung des Korbacher Heimatmuseums.
Und so konnte im Juni 1989 unter seiner Leitung mit den Arbeiten begonnen werden.
Die Netzer Klosterkirche ist eine der ältesten Kirchen im Waldecker Land. Gestiftet haben sie 1228 zwei Brüder des Grafengeschlechts von Schwalenberg: Volkwin IV. lebte von 1195 bis 1245, Adolf I. von 1200 bis 1270. Die von Schwalenbergs hatten größere Besitzungen in Ostwestfalen und zwischen Eder und Diemel.
Wissenschaftliche Aufarbeitung steht noch aus
30 Jahre lang vergessene Grabungsfunde aus der Netzer Kirche aufgetaucht – Fortsetzung
Die Netzer Klosterkirche präsentiert sich heute im gotischen Baustil. Links ist die angebaute Nikolaus-Kapelle zu sehen, die Grablege der Grafen und Fürsten zu Waldeck. Fotos: Schilling
Die beiden Grafen verwalteten mehrere Vogteien und Klöster, darunter Aroldessen und Flechtdorf. Sie waren also Ministeriale regionaler Herrschaften und übten zunächst die niedere Gerichtsbarkeit aus.
Ihr Onkel, Graf Hermann I. von Schwalenberg, wurde 1184 aufgrund seiner vielen Besitzungen im Edergebiet auch Graf von Waldeck. Als er 1224 kinderlos starb, vererbte er die Grafschaft Waldeck seinen beiden Neffen Volkwin und Adolf. Sie regierten von 1224 bis 1228 die Region gemeinsam.
In dieser Zeit gerieten sie in eine heftige Fehde mit dem Hochstift Paderborn. Adolf soll Bischof Wilbrand nach einem Besuch in Korbach mit 100 Bewaffneten verfolgt und bedrängt haben. Der Bischof konnte entkommen und verhängte den Kirchenbann über beide Brüder. Sie verloren alle ihre Ämter und Lehen im Paderbornischen.
1227 mussten beide Grafen auf Drängen ihrer Verbündeten nach langen Verhandlungen in Paderborn barfüßig Abbitte tun, erhielten ihre Paderborner Lehen zurück und stifteten 1228 gemeinsam das „Nonnenkloster im Thal der Heiligen Maria“ bei Netze auf Schwalenberger Eigenbesitz. Ob das ein gefordertes Sühneopfer war, ist nicht schriftlich belegt.
Im gleichen Jahr vollzogen die beiden Grafen eine Erbteilung: Volkwin zog sich zurück auf deren Stammsitz Schwalenberg südlich von Pyrmont. Adolf erhielt alle Besitzungen im Gebiet zwischen Eder und Diemel und nannte sich forthin Graf von Waldeck. Er baute die von seinem Großvater Volkwin II. durch Heirat erworbene Burg hoch über der Eder zu seiner Residenz aus und wurde auch als Städtegründer bekannt.
An die romanische Bauzeit der Kirche erinnert heute in Netze nur noch der Turm, der bis über den Glockenstuhl aus sorgfältig behauenen, kleinquadrigen Steinen errichtet wurde. Er zählt mit seinem bogenförmigen Eingang zu den ältesten Kirchtürmen in Waldeck. Die Welsche Haube darüber wurde später hinzugefügt. Unter dem Turm war eine Unterkirche mit ein- und zweijochigen Gewölben gebaut worden.
Schon in jener Zeit schallte der eherne Klang einer Glocke durch das Netze-Tal, die durchziehende Mönche im 12. Jahrhundert vor Ort gegossen hatten. Sie trägt keine Inschrift, aber ihre Form, das Erz, Klöppel und Krone, der Schlagton und die Form lassen eine eindeutige Altersbestimmung durch Fachleute zu. Sie ist heute eine der ältesten, noch Dienst tuenden Glocken in ganz Deutschland und die älteste in Waldeck. Zwei weitere Glocken aus dem Jahr 1971 ergänzen heute das Geläut.
Nach Osten war in gleicher Breite wie der Turm eine schlichte, dreijochige Kirche mit Rundapsis angefügt. Diese Kirche oder ihre Mauerreste waren wohl vorhanden, als die beiden Schwalenberger Brüder 1228 Zisterzienserinnen von ihrem Mutterhaus in Kamp-Lindfort am Niederrhein für die Errichtung eines Klosters anwarben und ihnen den Baugrund zur Verfügung stellten. Der Orden errichtete ein Kloster mit Meierei und allen Gebäuden, die erforderlich waren und im Zentrum einen aus Holz gebauten Kreuzgang.
Patrone der Kirche wurden die Gottesmutter Maria und die „quatuor coronati“, die vier Gekrönten – vier Bauleute, die sich der Legende nach geweigert haben sollen eine Götzenstatue zu errichten und deshalb unter Diokletian 304 nach Christi den Märtyrertod erlitten haben sollen.
Bei den Vorarbeiten zum Einbau der Heizungsrohre 1989 untersuchte Karl Kann in einer Stützmauer, die zum Teil aus dem Schutt der 1845 im fünften Joch des Nordschiffs eingestürzten Decke errichtet worden war. Er entdeckte einen dort verbauten Endstein und ließ ihn herausnehmen: Es war der Stein jenes eingestürzten Kreuzrippengewölbes mit dem Symbol der „quatuor coronati“, den vier einander zugekehrten Herzen.
Über den Fundamenten dieser Ur-Kirche ließen die Zisterzienserinnen eine zweischiffige Hallenkirche mit fünf Jochen erbauen, die auch die frühere Apsis mit umfasste. Der heutige Bau hat eine glatte Ostwand und gotische Maßwerk-Fenster.
Da die Waldecker Grafen das Kloster Marienthal als ihre Grablege ausgewählt hatten, wurde auf der Südseite des Langhauses eine dem heiligen Nikolaus geweihte Grabkapelle in der Breite der zwei westlichen Joche angefügt. Seit 1267 ist belegt, dass die Waldecker Grafen dort beigesetzt wurden.
Unter der Grabkapelle befindet sich eine großräumige 1639 angelegte Gruft, in der sich, übereinander gestapelt, zahlreiche Särge der Waldecker Grafenfamilie befinden. 1962 wurden noch 24 Särge aus der Geismarer Kapelle der Wildunger Stadtkirche dorthin umgebettet. Auch der Arolser Stadtgründer und Schlossbauer Fürst Friedrich Anton Ulrich ruht dort in einem prächtigen Zinksarg.
Die Grabkapelle wurde im Laufe der Jahrhunderte mit Epitaphien, Tumbengräbern und Bodentafeln reichlich ausgestaltet. Ein dreibahniges Südfenster erhielt um 1350 eine großflächige Buntglasdarstellung. Das Fenster wurde 1824 verkauft, um die heutige Orgel von Jakob Vogt aus Korbach anschaffen zu können. Drei kleine, spitzbogige Felder blieben erhalten, die Ornamente und eine Marienkrönung zeigen. Kein Besucher kann sich der feierlichen Würde und Stille dieses Raumes entziehen.
Eine bauliche Besonderheit ist die Nonnenempore an der Westwand, an der sich heute die Orgel befindet. Diesen ursprünglich doppelt so breiten „Balkon“ konnten die Nonnen vom Klostergebäude aus betreten, sodass sie den Gottesdiensten folgen konnten, aber den Kirchenbesuchern nicht begegneten. Die Baugeschichte des gesamten Klosters bis zur heutigen Restform ist ein solch komplexes Geschehen, dass hier nicht darüber zu berichten ist.
In vielen mittelalterlichen Kirchen sind – meist im Altarraum – regionale Würdenträger und Herrscher ehrenhalber bestattet worden. Also war auch im Kirchenschiff mit Grabfunden zu rechnen, obwohl es die angebaute Grabkapelle, die „Waldecker Kapelle“, gab. Ausgrabungen auf geschichtsträchtigem Boden waren immer für unerwartete Überraschungen gut.
Dann wurde geplant und vorsichtig mit den Grabungen begonnen. Der sorgfältig untersuchte Aushub wurde auf der Südseite auf Planen gelagert, um ihn nachher wieder zum Verfüllen nutzen zu können. Für die temporäre Aufbewahrung der Fundstücke holten sich die Ausgräber immer mehr Kartons und Kästen im Lebensmittelgeschäft von Karl Kann. Denn es wurde viel gefunden.
Alle Grabungsfunde wurden genau untersucht und bestimmt. Die umfangreichen Knochenfunde kamen zur Gießener Universität und wurden im Institut des Anthropologen Prof. Manfred Kunter ausgiebig und gründlich analysiert und ausgewertet. Erst sieben Jahre später kehrten sie in 36 großen Kartons nach Netze zurück.
Karl Kann und einige andere hatten 1989 dagegen gestimmt, die vielen Gräber zu exhumieren, um die Totenruhe nicht zu stören – aber vergebens. Als die vielen Gebeine 1997 zurückgekehrt waren, hat Karl Kann sie pietätvoll dort wieder beigesetzt, wo sie entnommen worden waren: im Nordschiff der ehemaligen Klosterkirche.
Kuliks Grabungsteam stieß auf ein „Netz“ von Grundmauern, das über den Resten der Ur-Kirche auch eine dreischiffige Basilika bestätigte. Im Erdreich des heutigen Nordschiffs fanden sich besonders viele Gräber, teilweise bis zu dreifach übereinander platziert. Die Särge waren über die Jahrhunderte zerfallen und aufgelöst.
Bei etlichen der oft noch völlig erhaltenen Skelette war die Position noch klar zu erkennen, in der sie bestattet wurden – nämlich in West-Ost-Richtung, den Blick nach Osten gewandt: „Ex Oriente lux“ – „Aus dem Osten kommt das Licht.“
Zwischen den vielen Schädeln und Skelettteilen der insgesamt 176 Gräber fanden die Ausgräber nur erstaunlich wenige Grabbeigaben. Das waren Keramikscherben, Metallteile der Särge, geschmiedete Nägel und Nadeln, Schmuckteile und auch ein wenig Goldschmuck. Die Überraschung war in diesem Fall die große Zahl von Beisetzungen, die in der Kirche stattgefunden hatten.
Es waren Männer und Frauen und einige Kinder. Gebeine der Zisterzienser-Nonnen waren es nicht, denn sie ließen sich auf dem Totenhagen in unmittelbarer Nähe der Kirche bestatten.
Alles wurde Schicht für Schicht exakt dokumentiert und in Zeichnungen und Fotos festgehalten. Auf kleinen, blauen Tafeln wurde sofort die genaue Lage des Fundorts, ergänzt durch einen Nordpfeil und das Datum, fotografisch dokumentiert. Aus dem Nachlass von Dr. Kulick existieren noch mehr als 1000 Dias allein zum Thema „Netze 1990“, die das Ehepaar Volker und Birgit Emde inzwischen gereinigt und digitalisiert hat.
Unerklärlich ist, wieso von diesem aufwendigen Projekt der Jahre 1989/90 bisher nur eine kleine, halbwissenschaftliche Veröffentlichung von Dr. Kulick gefunden wurde. Im 1992 erschienenen Bildband „Land zwischen Eder und Diemel“ von Dr. Ursula Wolkers aus dem Korbacher Verlag Wilhelm Bing findet sich ein nur zweiseitiger Aufsatz mit einer bunten Skizze der Grundmauern. Die Gesamtumstände dieser umfangreichen Ausgrabungen zeigen, dass noch wissenschaftliche Untersuchungen – mit entsprechender Veröffentlichung – geplant waren.
Zu vermuten ist, dass Material für eine größere Bearbeitung der Archäologin Dr. Pflug gesammelt werden sollte, vielleicht für ihre Habilitationsschrift. Dafür könnte auch sprechen, dass die vielen Kartons und Kästen mit Grabungsgut im November 2022 im Schuppen jenes Hauses in Korbach wiedergefunden wurde, in dem sie damals zur Untermiete wohnte.
Das Wolfgang-Bonhage-Museum will die Funde zeitnah an das Landesamt für Denkmalpflege weitergeben.
Dr. Jens Kulick hat sich für die Erforschung der Regionalgeschichte viele Verdienste erworben. Er starb 1996. Die Spuren von Dr. Pflug lassen sich nach 1999 nicht mehr weiter verfolgen.
Geblieben ist das harmonische Ensemble der Netzer Klosterkirche mit der „Waldecker Kapelle“ als „kulturgeschichtliches Kleinod“, bereichert um einen interessanten Teil seiner Baugeschichte.
Dr. Peter Witzel ist am 28. Mai diesen Jahres in Korbach im Alter von 86 Jahren gestorben.
„
Mein Waldeck“ ist die Heimatbeilage der Waldeckischen Landeszeitung. Verantwortlicher Redakteur: Dr. Karl Schilling. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages Wilhelm Bing.