2022 WLZ 12. 09. Übernachtungs-Plus trotz Handicaps

Erste Einschätzungen zur Urlaubssaison 2022 rund um den Edersee

VON MATTHIAS SCHULDT

Leerstand in 1-A-Lage: das frühere „Terrassenhotel“. Trotz der Hemmschuhe in Gestalt von drei verwaisten Hotelbauten in Hemfurth-Edersee legten die Übernachtungszahlen im Vergleich zu 2019 deutlich zu. Foto: Schuldt

Edersee – Die Werte sind noch mit Vorsicht zu genießen, weil die Monate Juli und August in der Statistik fehlen. „Das Land gibt die Übernachtungszahlen mit zweimonatigem Nachlauf heraus“, erklärt Klaus-Dieter Brandstetter, Geschäftsführer des Tourismus Service Waldeck-Ederbergland, dazu.
Aber: Bis einschließlich Juni verzeichnet die Urlaubsregion Edersee einen deutlichen Anstieg der Übernachtungszahlen im Vergleich zum letzten Vor-Corona-Jahr 2019. „Allein in Edertal beispielsweise sind es 13 500 Übernachtungen mehr“, berichtet Claus Günther, Geschäftsführer des Edersee Marketing. Brandstetter bezeichnet die grundsätzliche Entwicklung als im Wesentlichen repräsentativ für den Landkreis.
Für den Zuwachs macht Günther auch das größere Angebot an ansprechenden, auf Qualität ausgerichteten Bettenangeboten verantwortlich. Als Beispiele zieht er das umgebaute frühere Edersee-Heim am Baumkronenpfad oder die Tiny-Häuser in Hemfurth-Edersee heran. Da weitere Projekte im Segment Ferienhäuser und -wohnungen geplant sind, schaut er zuversichtlich in die Zukunft: „Das größere, bessere Angebot führt zu höheren Übernachtungszahlen.“
Der niedrige Wasserstand scheine bei den Urlaubern keine Stornierungswelle ausgelöst zu haben. „Zumindest ist bei uns im Edersee-Marketing davon bislang nichts angekommen“, sagt Günther. Die gestiegenen Übernachtungszahlen erscheinen speziell für Edertal umso bemerkenswerter, als die Tourismusgemeinde eine große, offene Flanke hat: zwei große Hotels, die neben dem seit vielen Jahren verwaisten „Haus Bergmann“ leer stehen.
Das betrifft das Haus „Eder-aue“ und – besonders schmerzhaft wegen der herausgehobenen Lage – das frühere „Terrassenhotel“, dessen Umbenennung in „Hotel Ederseeblick“ auch schon wieder Geschichte ist. Die Berliner Gesellschaft, die das Hotel vom Vorbesitzer kaufte, sei in der Insolvenz, sagt der stellvertretende Landrat Karl-Friedrich Frese. „Alle Versuche, mit ihr in Kontakt zu treten, scheitern“, fügt Claus Günther hinzu. Edertals Bürgermeister Klaus Gier hatte vor einigen Wochen Ähnliches geäußert.
Für das geschlossene Hotel zeichne eine Insolvenz-Management-Firma aus der Schweiz verantwortlich, ergänzt Erster Kreisbeigeordneter Frese: „Wir wissen das, weil der Kreis überlegt hat, Zimmer für Flüchtlinge aus der Ukraine dort anzumieten“, schilderte Frese – und berichtet von einer aussagekräftigen Erfahrung. Zunächst habe es geheißen, ein Zimmer solle 500 Euro pro Monat kosten. „Doch wenige Tage nach dieser Auskunft stieg der Preis auf 1350 Euro“, sagt Frese. Der Landkreis lehnte ab.
Die Sorge der Verantwortlichen geht dahin, das Hotel könne als Spekulationsobjekt in einem Insolvenzverfahren sehr lange ausgestorben bleiben. In 1-A-Lage an der Sperrmauer. „Wir bekamen viele Beschwerden von Besuchern, weil auf diese Wiese natürlich auch die öffentlichen Toiletten, die im Hotel integriert sind, nicht zur Verfügung stehen“, beschreibt Claus Günther nur einen Aspekt des Dilemmas – der in der Wahrnehmung von Besuchern durchaus traditionell und naturgemäß eine Rolle spielt. Ausgerechnet in diesem Jahr , da auch am Aquapark auf der anderen Seite der Sperrmauer wegen des Neubaus des Gäste-Infozentrums vorübergehend keine öffentlichen WCs existieren.

Hintergrund –

Weniger Tagesgäste

Auf der Verliererseite der Saison steht der Tagestourismus. Einschätzungen von mehreren Seiten, dass der Umsatzeinbruch bei 25 bis 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr liege, hält Claus Günther zwar für zu hoch gegriffen, „aber deutlich weniger ist es.“
Hier wirke sich der niedrige Wasserstand aus – doch nicht als einziger Umstand, sind Brandstetter und er überzeugt. „Gerade Familien haben nach dem Ende der Corona-Einschränkungen in diesem Jahr Auslandsurlaube gebucht und fehlten deshalb“, meint Brandstetter. Nicht nur am Edersee habe man weniger Tagesgäste gezählt: „Das teils sehr heiße Wetter nahm sicher auch manches Mal die Lust auf einen Ausflug.“
Beide Touristiker wenden sich in diesem Zusammenhang gegen die bei manchen am See vorherrschende Ansicht, Tagestouristen brächten kaum Geld. Von den durchschnittlich 570 Millionen Euro Jahresumsatz am Edersee entfielen 60 Prozent auf Übernachtungsgäste und damit immerhin 40 Prozent auf den Tagestourismus. „Der Tagesgast gibt am See Geld aus, ob er wegen des Wassersports kommt, wegen Edersee-Atlantis, zum Wandern oder für eine Radtour“, unterstreicht Claus Günther. Darum seien Erlebnis-Angebote, wie Kletterpark, Baumwipfelpfad, Wildtierpark oder der Adventure-Golfplatz in Hemfurth-Edersee grundlegende Stärken des wichtigsten Wirtschaftsstandbeins der Region. „Mit Blick auf unsere Naturschätze gilt das gerade auch in Ergänzung zum Gesundheitsstandort Bad Wildungen“, sagt Günther.  su