II 2020 WLZ 17. 06. „Als ich noch Schützes Gerda war“

75 Jahre Kriegsende – Gerda Frese berichtet, wie die Amerikaner in Höringhausen einrückten

Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich in die­sem Jahr zum 75. Mal. In unserer Serie berichten Zeitzeugen, wie sie das Kriegsende im Waldecker Land erlebt haben. Heute berichtet Gerda Frese aus Höringhausen.

Waldeck-Höringhausen – Ich er­innere mich, es war an mei­nem 13. Geburtstag am 30. März 1945, als die Amerika­ner kampflos in Höringhau­sen einrückten. Weiße Tü­cher, die aus Dachbodenfens- tem hingen, soll die. friedli­che Gesinnung der Dorfbe­wohner, die überwiegend aus Frauen und Kindern, einigen alten und wenigen jungen, unabkömmlichen Männern bestand, verdeutlichen.Natürlich war die „Füh­rungselite“ der Partei zu Hau­se. Franzosen, Polen und Rus­sen, die in der Landwirtschaft arbeiteten, zählten zu den Einwohnern. Tags zuvor hör­ten wir die Panzerkolonnen näher kommen. Angst mach­te sich breit, was würde uns bevorstehen?

Man war darauf bedacht, Lebensmittel in Sicher­heit zu bringen. Mutter und ich packten Schinken, Wurst und Speck in einen Einkoch- apparat, vergruben ihn sorg­fältig im Garten zwischen Himbeersträuchern. In leer stehende Bienenkäs­ten versteckten wir ebenfalls Lebensmittel und die wert­volle Leica meiner Cousine, die aus Frankfurt am Main stammte und mit ihrem Baby bei uns lebte. Unsere oberen Räume bewohnte eine sechs­köpfige Familie, Evakuierte aus Wilhelmshaven.In der Hoffnung, etwas Sinnvolles zu tun, bemühte sich meine Cousine, mit Hilfe der ältesten Tochter unserer Mieter ihre Englischkennt­nisse aufzufrischen. Es war unser Glück, am Karfreitag 1945 kamen die Amerikaner.
Mit der MP im Anschlag durchsuchten sie das Haus. Im Keller fanden sie Johan­nisbeerwein, der für meine Konfirmation gedacht war, sie steckten sich Flaschen in die Uniformjacken. Ein paar Flaschen konnte Mutter un­ter Kartoffeln verstecken. Drei Tage lang rückten im­mer wieder kleine Trupps an, verlangten „Wino“. Dank der Diplomatie und etwas Eng­lisch meiner Cousine, viel­ leicht war auch Sympathie im Spiel, blieben wir von Ein­quartierung verschont. Nur unser Radio requirierte der Quartiermacher, aber er ver­sprach ihr, es beim Abmarsch zurückzugeben.
Eines Nachts schlugen Amerikaner gegen die verschlossene Haustür und riefen „Deutsche Soldat“. Sie stürmten in sämtliche Räu­me, sahen in und unter die Betten, rissen Schränke auf, selbst das Vieh im Stall wurde leicht war auch Sympathie im Spiel, blieben wir von Ein­quartierung verschont. Nur unser Radio requirierte der Quartiermacher, aber er ver­sprach ihr, es beim Abmarsch zurückzugeben. Eines Nachts schlugen Amerikaner gegen die verschlossene Haustür und riefen „Deutsche Soldat“. Sie stürmten in sämtliche Räu­me, sahen in und unter die Betten, rissen Schränke auf, selbst das Vieh im Stall wurde aufgescheucht – aber kein Soldat war zu finden. Des Rät­sels Lösung: Der Mond spie­gelte sich im Fenster im obe­ren Stockwerk, die Amerika­ner hielten es für Licht. Einen Tag bevor die Truppe weiter zog, kam der Amerika­ner, der bei Hilbrichts ein­quartiert war, übergab mei­ner Cousine das Radio, es war sogar repariert. Höflich ver­abschiedete er sich von der blonden, deutschen Frau, die ihn offensichtlich beein­druckte. Er erwähnte, dass seine Vorfahren aus Deutsch­land stammten.

Unsere Nachbarn hatten weniger Glück, man ging nicht zimperlich mit ihnen um. Sie standen unter ständi­ger Beobachtung, und es gab Ärger um den Verlust der knappen Lebensmittel. Aufge­fundene Büchsen und Ein­kochgläser mit Fleisch, Wurst und Gemüse wurden geöffnet und verdarben. In Heu und Stroh lag Munition. Wir wa­ren mit einem blauen Auge davon gekommen.

Gerda Frese, ge­borene Schütz, mit ihrer Mutter Luise Schütz. foto: pr

 

Süßigkeiten: Ein „GT’ver- schenkt Schokolade.

„Von 1932 bis 1954 war ich hier daheim“: Das Geburtshaus von Gerda Frese in Höringhausen.

Soldaten beschlagnahmen das Haus

Am 8. Mai war der Zweite Weltkrieg beendet, wir wurden amerikanische Besat­zungszone, und schon bald rückte die Besatzungsmacht an.
Dieses Mal gerieten auch wir unter die Betroffenen. Aus der heutigen Weststraße mussten innerhalb eines dreiviertel Tages die Häuser Grass, Schütz, Lippe, Gockel und Gänßler geräumt wer­den. Betten, Tische, Stühle und Geschirr müssen im Haus bleiben. Das war für uns ein Schock. Zehn Personen waren wir ins­gesamt, wo sollten wir hin? Ich weiß nicht, wo unsere Wilhelmshavener unterka­men. Mutter, Greta, Peter- chen und mich nahm unsere Nachbarin Peusters Tante Emma auf.
Sie räumte ein Zimmer für uns frei, in dass wir unseren Kleiderschrank, mein Bett in dem Greta mit Peterchen schlief. Ein Bett für Mutter und mich stellten uns Peus­ters zu Verfügung. Den klei­nen eisernen Kohleherd, den Greta als Bombengeschädigte bekam, stellten wir mit ins Zimmer. Dann hieß es, das gute Ge­schirr zu retten. Mutters neu­en Wohnzimmerschrank ta­ten wir auf den Ackerwagen und transportierten ihn zu Böhlen mit den Kühen. Zu­letzt die ohnehin knappen Lebensmittel in Sicherheit gebracht, die noch immer ra­tioniert waren und mit denen auch Peterchen und Greta mitverpflegt wurden.
Für einige Wochen schlie­fen, wohnten und kochten wir zu viert in diesem Raum. Gegessen haben wir in Peus­ters Küche. Das Plumpsklo befand sich im Stall bei den Ziegen. Schwierig wurde die Versorgung unserer beiden Kühe und Schweine. Die Milch konnte nicht ge­kühlt werden, der Keller war nicht mehr erreichbar. Die Milchkanne sowie wie das Milchgeschirr, wie Eimer, Seihe und Seihtuch wurden im Stall gesäubert. Ich weiß nicht, womit Mut­ter die Schweine fütterte, die Frucht lagerte im Haus, das nicht betreten werden durfte. In aller Herrgottsfrühe, wenn die Amis noch schliefen, ver­richtete Mutter die Stallar­beit. Die Amerikaner benah­men sich zivilisiert. Um sich besser verständi­gen zu können, lieh sich Gre­ta ein Englisch-Wörterbuch von Pfarrer Kohl. Ebenso wie die Amerikaner langweilte sie sich. Es gab nichts für sie zu tun. Ihr blieb, mit Peterchen spazieren zu fahren. So kam sie mit den Amerikanern ins Gespräch, denn einige be­herrschten ein wenig unsere Sprache, hatten angeblich deutsche Vorfahren. Zwei dieser Soldaten machten ihr Heiratsanträge.
Endlich wurden die Ameri­kaner verlegt, wir konnten unser Haus säubern und wie­der einziehen. Peusters On­kel Louis kehrte vom Volks­sturm heim, sie benötigten Bett und Zimmer.

„Tändeleien“ mit Amerikanern
Im Hochsommer rücken er­neut Amerikaner ein, mit ihnen die jeweilige Militär- Kommandantur. Der Post­agent Fritz Eierdey, von ihnen vorübergehend zum Bürger­meister bestimmt, bat Greta als Sekretärin zu arbeiten, da sie erfolgreich für ihn verhan­delte. Mutter konnte Peter- chen nicht zusätzlich betreu­en, also lehnte sie ab. Sie half hin und wieder aus, bis die Lehrerstochter Lore Hartung diese Arbeit übernahm.
Unsere Schullehrer, größ­tenteils Parteimitglieder, durften nicht mehr unter­richten, also gab es eine lange Ferienzeit. Für mich war mit dem Ende des siebten Schul­jahres vorerst die Schule be­endet. Mutter setzte mich zum Küheholen ein. Es war ein weiter Weg, damals noch ein Feldweg zwischen Fel­dern und Wiesen hindurch, heute Neubaugebiet. Wie staunte ich, als ich unsere stramme Führerin des Bun­des deutscher Mädel im Jeep der Amis sitzen sah.
Einmal pro Woche hatte je­der Haushalt eine Person zum Kartoffelkäferlesen zu stellen. Die gesamte Höring­häuser Flur wurde durch­streift, in Gefäßen die Käfer und Larven eingesammelt oder zerdrückt.
Nachbars Else Peuster be­kam Zahnschmerzen, jammerte schrecklich. Es war Abend und bereits Ausgangs­sperre. Greta ging zur Kom­mandantur, die diesmal in Curzen, heute Wagners Haus residierte. Sie bat um Erlaub­nis für die Fahrt zum Zahn­arzt, verhandelte um Benzin und ein Auto. Sie hatte Erfolg, ließ sich mit Else nach Sachsenhausen fahren, doch die verspürte beim Zahnarzt keine Schmer­zen mehr. Unverrichteter Dinge kehrten sie heim, wo alsbald die Zahnschmerzen wieder einsetzen. Doch nun musste sie bis zum nächsten Tag aushalten.
Durch ihre Verhandlun­gen waren die Amis auf Greta aufmerksam gewor­den, suchten Kontakt. Sie wurde gebeten, zur Ab­schiedsparty zu kommen und einige Damen mitzubrin­gen. Schick angezogen er­schien sie mit zwei weiteren „Damen“, die auch ohne Eng­lischkenntnisse klar kamen. Sie erklärte, leider sei ihr Sohn erkrankt, sie bedauere außerordentlich.
Mit den Amerikanern auf Tuchfühlung zu kommen be­deutete, Essen und Trinken, Schokolade und Zigaretten, die es für die vielfach hun­gernden Deutschen schon lange nicht mehr gab, vor al­lem gab es Tauschobjekte für den Schwarzmarkt. Unzählige junge Frauen freundeten sich damals mit den Siegern an. Für die Ame­rikaner waren sie das „deut­sche Fraulein-Wunder“, für zahlreiche Deutsche „Ami- Liebchen“. Wie immer es beurteilt werden mag, eines ist völlig klar: Hunger tut weh.