Geschichte und Geschichten: Das Twistetal um das Jahr 1700

Säbel und Oefen aus Waldeck,
Die Elleringhäuser Eisenhütte und der Braunser Hammer
Von Rektor i. R. W. Emde

Wie bedeutungsvoll die einst so blü­hende Eisenindustrie im 10.. 17., 18. Und bis zur Hälfte des 19. Jahrhunderts für unsere Heimat gewesen ist, und wie sehr ihr so schicksalhaftes Er­löschen die wirtschaftliche Struktur des Landes veränderte, wissen wir heute kaum zu ermessen.
Dieser so wichtige Erwerbszweig ba­sierte auf den Roteisenerzen des Mar – tenberges bei Adorf, die dann auf den Hüttenwerken, im Uplande, Berich, Bergfreiheit, im Twiste- und Orpetale mit Holzkohle aus unseren reichen Waldbeständen verhüttet und auf den zugehörigen oder nächstgelegenen Hämmern zu Ganz- oder Halbfabrikaten verarbeitet wurden.
Die Anfuhr des schweren Eisenerzes, des Holzes und der Holzkohle war bei den damals vielfach schlechten Wege­verhältnissen sehr schwierig; man drängte sich deshalb nicht dazu, so gerne man den Verdienst mitnahm.
Um aber nun den Betrieb in den Hütten und Hämmern laufend aufrecht erhalten zu können, mußten alle Gemeinden Spannndienste leisten. Jedes Dorf als Gesamtheit hatte jährlich eine gewisse Anzahl Fuhren durchzuführen, die meist auf die einzelnen Voll- und Halbspänner verteilt wurden. Die Säumigen, so hieß es in Verordnungen von 1620 und 1721 u. a., sind mit Amtsgewalt dazu anzuhalten. Denen, die keine Fuhren leisten wollen, werden – sämtliche Schafe abgenommen, die nach der nächsten Kreisstadt zu treiben sind, wo sie auf einer öffentlichen Auktion verkauft werden. Von dem Erlös sind dann die Kosten für die zu engagierenden Fuhrleute zu decken, die die von den Gemeinden verweigerten Fuhren auszuführen haben.“ (Hierzu sei bemerkt, daß die Schafzucht in Waldeck zu damaliger Zeit, entspre­chend den Verhältnissen des Landes, sehr bedeutend war).
Was nun das Geschichtliche der Elleringhäuser Eisenhütte anbetrifft, ge­hörte sie mit zu den ältesten unseres Heimatlandes. Sie lag einst in der alten Osterhäuser Grund, in der Nähe der heutigen Waldeckischen Holzspulen­fabrik H. Meyer in der Berggrund, wo jahrhundertelang die Pochwerke und Schmelzhütten des Twister Kupferbergwerks standen, unmittelbar an der Twiste, etwa 230 m von dem einstigen Vizinalwege nach Braunsen, der die Staatsstraße Arolsen—Sachsenhausen schneidet. Die Flurgemarkungsnamen. „Hüttenwiese“ und „das Hüttenland“, kleine Schlackenbänke und Eisengußteile sind die letzten Zeugen.
Da bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts aktenmäßige Erwähnungen der waldeckischen Eisenhütten und Häm­mer nicht vorhanden sind, ist es schwer, aus früherer Zeit eine geschichtliche Darstellung zu geben. Jedoch muß der Betrieb nach den ersten Aktennotizen zu schließen, schon im 16. Jahrh. äußerst rege gewesen sein.
Becks „Geschichte des Eisens“, Bd. I, gibt uns über die Vorgeschichte der waldeckischen Eisenindustrie bis zu ihren ersten Anführungen in den ältesten regl. Akten des Berg – und Hüttenwesens mancherlei sehr auf­schlußreiche Hinweise.
In dem ältesten diesbezügl. Aktenstück, des aus dem Jahre 1601 stammt, wird die Elleringhäuser Eisenhütte be­reits eine „florierende Hütte mit einer Anzahl großer Baulichkeiten genannt. Daraus ist zu ersehen, daß die eigent­liche Anlage wohl noch einige Jahrzehnte zurückreicht.
Im Jahre 1682 wurde Faktor Bullow, der damalige Pächter der Wetterburger Hämmer und des Külter Hammers mit der Elleringhauser Hütte  belehnt, 1688 Faktor Christian Bärenfänger, 1701 Faktor Suden, 1714 Faktor Johann Daniel Schreiber und 1716 Faktor Otto Ramspott „auf der Orpe“. –
Von 1719 wurde die Elleringhauser Hütte vorübergehend mit dem Einverständnis des Fürsten Anton Ulrich als Kupferhütte von dem damaligen Unternehmer des Twister Kupferbergbaus,  Anton Fresenius aus Frankfurt, übernommen. Im Jahre 1734 wurde sie wieder zur Eisenhütte umgewandelt und an den früheren Pächter Ramspott zurückgegeben.
 Die  Anfuhr an Eisenstein vom Adorfer Martenberge betrug in diesem Jahr 600 Fuder;  die Hütte war voll beschäftigt und konnte den Anforderungen an Roheisen kaum gerecht werden. Unmittelbar nach Aufhebung der 8. Verpachtung wurde der Pächter seitens der Kammer darauf aufmerksam gemacht, dass das Eisen, das auf der wieder umgewandelten Eisenhütte verblasen und auf den zugehörigen Hämmern verschmiedet werde, „gut und tüchtig sein müsse“, damit „so in-wie außer des Landes keine Klagen darüber geführt werde“. –
Wie lange Ramspott und seine Erben die Elleringhäuser Faktorei noch betrieben haben, ist nicht bekannt; in den Akten des Bergratskollegiums ( Hütten und Hämmer-Twistetal) wird letztmalig 1793 Nichtbetrieb erwähnt. –
Wie schon berichtet, wurde das verhüttete Eisen in den meist den Hütten zugehörigen oder nächstgelegenen Hämmern zu Eisenfabrikaten verschiedenster Arten hergestellt.
So geschah es auch auf dem der Elleringhauser Hütte am nächsten gelegenen Braunser Hammer, der heute noch den Namen nach existiert.
In den Akten finden wir ihn erstmalig 1717 erwähnt, doch muss er schon längere Zeit vorher bestanden haben, da von einer „Neureparierung“ die Rede ist. Von 1723-1724 wird Faktor und späterer Kammerrat Nikolaus Suden aus Mühlhausen, der auch ca. zwei Jahrzehnte Pächter des Mühlhäuser Hammers war, als Pächter genannt, und von 1725-1746 Otto Ramspott, der auch zu dieser Zeit die Elleringhauser Eisenhütte in Pacht hatte.
Von 1746-1760 finden wir den Hammer an die Faktoren Suden von Mühlhausen, und Tewes von Braunsen, verpachtet.
Etwas später übernimmt ihn der frühere Hammermeister der Kleineschen Hämmer, Johannes Vogel, die 1781 auf dem „alten Braunser Hammerplatze“ ein neues Gebäude aufrichten ließ und das Holz zum Bau wie zum Betriebe des Hammers aus dem „Hessischen“ und dem hart an der Grenze liegenden waldeckischen Gute Höhnscheid von dem Herrn von Leliwa, kaufen musste. Dieser neu angelegte Waffenhammer lief gut an, und erfolgte bereits im nächsten Jahre die Anlegung eines zweiten Herdes, der aber nach zehn Jahren wieder einging.
1794-—1790 wird Regierungsrat Severin als Pächter genannt Anschließend  kauft Vogel den Hammer von der Herrschaft, kann ihn aber nicht halten, und noch im selben Jahre ersteht ihn im Zwangsverkauf Severin zu Mengeringhausen.
In merkwürdigem Gegensatz zu der sonstigen Fürsorge stehen gegen Ende des 18. Jahrh. verschiedene Pachtkon­trakte, aus denen hervorgeht, daß der Regierung, zeitweise wenigstens, das Schicksal der Werke höchst gleichgültig war, wenn sie nur Ihr Pachtgeld bezog. Bel der Verpachtung wurde gar nicht darauf gesehen, ob der Pächter oder Besitzer, der ja auch sein Grundgeld zu entrichten hatte, Fachmann, sondern nur darauf, ob er zahlungskräftig war.
Das rächte sich bald bitter, denn auch derartige Betriebe brauchten eine Seele, — Eine ganze Reihe Hütten und Häm­mer lagen zunächst vorübergehend still, — auch der Braunser Waffen­hammer, den die Kammer wieder zu­rückkaufte und 1908 an Bergrat Johann Christian Stöcker, den Besitzer der Neuwiesener- und Pächter der Eilhäuser Hütte, verpachtete, einen wirklichen Fachmann, der sich reiche Fachkennt­nisse im Siegerland, im Nassauischcn und Sachsen erworben hatte. Dieser biedere Waldecker, der übrigens nur in waldeckscher Mundart mit seinen Leuten verkehrte, kannte das obere Twistetal schon lange. Er war seit 1782 verheiratet mit einer Twister Pfarrerstochtcr Christiane Friderica Stöcker.
Bald herrschte wieder reges Leben auf dem Braunser Hammer. Tag und Nacht wurden hier bis Ende 1810 Säbel und Degenklingen geschmiedet und in besonderen Werkstätten Gewehrläufe und Gewehrschlösser hergestellt. — Dann wurde der Waffenhammer still­gelegt, dafür aber eine Drahtfabrik und ein Zaineisen – Hammer mit Eisen-, Zangen-, Draht- und Walz-Zug nebst einer Zehnteisenschmiede angelegt. Diese Braunser Drahtzieherei lieferte u. a. auch den Draht für die damalige Ein­friedigung des Fürstl. Tiergartens zwi­schen Arolsen und Herbsen.
Bald nach dem Tode des Bergrates Joh. Christian Stöcker (7.11. 1818) über­nahm ein Faktor Klein die Drahtfabrik. Er hatte im Verlaufe seiner längeren Pachtzeit mit mancherlei Schwierig­keiten zu kämpfen, insbesondere bekam er als Fremder kein Kohlholz. Nach einem Aktenvermerk von 1822 war der Braunser Hammer der einzige im gan­zen Fürstentum Waldeck, der „seit Jahren“ sein Eisen nur mit Steinkohlen verarbeitete.
Infolge des Jahrhundertelangen Raubbaues in den großen waldeckischen  Wäldern wurde jetzt nur noch an einzelne Betriebe Kohlholz oder Holzkohle abgegeben. Steinkohlen waren durch den weiten Transportweg nur schwer zu beschaffen. Ein großer Teil der waldeckischen Hütten und Hämmer lag deshalb mit Beginn des 19. Jahrh. zunächst zeitweise, nach wenigen Jahrzehnten für immer still. Die hohen Zölle und die große Konkurrenz der unter wesentlich günstigeren Bedingun­gen arbeitenden aufstrebenden rheinisch – westfälischen Eisenindustrie beschleunigten  den Prozeß des Verfalls der einst so blühenden waldeckischen Eisenindustrie und brachten sie schließlich zum Erliegen. Auch der Braunser Hammer war um 1850 kaum noch rentabel.
Faktor Seele damals entschloß, neben der Drahtfabrik in einem Neben­gebäude noch eine Tabakfabrik anzu­legen, die jedoch nach verhältnismäßig kurzer Zeit das gleiche Schicksal mit der nahegelegenen Twister Tabakfabri­kation teilen mußte und auch einging. — „Der liebe Gott hat nicht gewollt, daß man in Waldeck rauchen sollt“ —, sagte man damals 1t. Überlieferung im Waldeckischen.
Im Jahre 1893 hörte dann das Herz des im Laufe der Jahrhunderte aufge­blühten Dorfes Braunsen — der alte Hammer — auf zu schlagen. Es wurde still, sehr still in dem sonst so beleb­ten Dorf. Viele, bisher in der Eisen­industrie beschäftigt gewesene Leute wanderten aus, die meisten ins „Bergische“.
Bereits Im Winter 1894 ging ein Wis­pern und Raunen durch die alten Ham­mergebäude, damals lt. Mutterrolle 34 aus Wohnhaus, Fabrikgebäude, Maga­zin und Hofraum bestehend. Wenig später wurde dann ein Holzverarbei­tungsbetrieb hier eingerichtet. Doch wechselten anfänglich Betriebsart und Besitzer sehr oft.
Nach Anton Linhoff, Arolsen, kam 1863 Ökonomiekommissar Ernst Schä­fer, Arolsen, 1864 richtete der neue Besitzer Rennert eine Holzdreherei (Drehbänke mit Tretbewegung) ein, be­trieb aber nebenbei noch eine Lohger­berei. Beide Betriebe hatten aber auch nur eine relativ kurze Lebensdauer.
Eine gewisse Beständigkeit trat erst ein, nachdem die Besitzer Wilhelm Doll, Reinhold Leichsenring und Wilhelm Funke, Barmen, den Sägewerk- und Drehereibetrieb in den letzten Jahr­zehnten des vorigen Jahrhunderts zu einer Spulenfabrik ausbauten, die dank der tüchtigen Unternehmer und Mit­arbeiter bald zu hoher Blüte gelangte. Nach Beschaffung von englischen Ma­schinen bezeichnete man sie eine Zeit­lang als „Englische Spulenfabrik“.
Ebenso, wie die Jahrhunderte vorher die Ganz- und Halbfabrikate der Eisen­industrie des Braunser Hammers: Öfen, Äxte, Beile, Sensen, Waffen, Draht, Drahtseile, Band-, Gitter-, Schlosser –und Nageleisen wegen ihrer besonderen Güte auch im Ausland ein gutes Renommee hatten, wurden jetzt auch die Holzerzeugnisse, insbesondere Spu­len, allgemein sehr geschätzt und auf deutschen Ausstellungen, sowie auf der Weltausstellung in Lissabon ausge­zeichnet.
Langjähriger Werkmeister und späterer Betriebsführer dieser Braunser Spulenfabrik war zu jener Zeit Hein­rich Meier sen., der 1890 mit Unter­stützung seines ehem. Chefs, Wilhelm Funke, die seit 1860 still gelegte Kupfer­hütte in der Twister Berggrund zu einer Holzspulenfabrik umbaute, aus der sich dann im Laufe von 8 Jahrzehnten die heutige „Waldeckische Holzspulenfabrik“ unter der genialen Leitung des heute 70jährigen Fabri­kanten Heinrich Meier entwickelte.
Die Braunser Holzspulenfabrik, die 1890 Drechsler Wilhelm Heßler und Landwirt Christian Schröder zu je 1/2 übernahmen und nach ihnen Karl Gott­mann, stellte 1928, in der Zeit des allgemeinen wirtschaftlichen Niedergangs in Deutschland, nach 65jährigem Be­stehen den Betrieb ein. Eine große Holzschneiderei wurde weitergeführt und zunächst Bienenkästen und Wäsche­klammern hergestellt In den letzten 20 Jahren betrieb die Firma Paul Hof­mann und Söhne, an die der Braunser Hammer von seinem langjährigen Be­sitzer Karl Gottmann verpachtet war, daselbst sehr erfolgreich eine Kleider­bügelfabrik.
Wahrlich ein wechselvolles Schicksal erlebte im Verlaufe der Jahrhunderte der alte Braunser Hammer, der sich aber immer den gegebenen veränder­ten Zeitumständen anzupassen wußte und zu der segensreichen Entwicklung des Dorfes Braunsen sein gut Teil bei­getragen hat.
Möchte auch weiterhin ein guter Stern über dieser alten geschichtlichen Stätte stehen, die ein Stück waldeckischer Heimatgeschichte darstellt.

Veröffentlicht in der WLZ 1953 unter „Mein Waldeck Nr. 12“
Abfotografiert und geschrieben im Stadtarchiv Korbach am 31. 05. 2022 durch Heinrich Figge