Wie Wissenschaft und Forst von der Natur lernen
Fachtagung im Nationalpark mit Fokus auf Waldumbau unter Bedingungen des Klimawandels
Exkursion von 90 Expertinnen und Experten in den Nationalpark Fotos: Nationalpark/pr
Edersee – Auf den ersten Blick erscheint es als Widerspruch zum obersten Ziel des Nationalparks „Natur Natur sein lassen“: Im Erweiterungsgebiet an den Hängen des Edersees laufen aktuell die Motorsägen. Grund: Das Nationalparkamt lässt im großen Maßstab Douglasien und Robinien fällen.
Das Entnehmen der Bäume diene aber sehr wohl dem Schutzziel, erläutert die Nationalparkverwaltung. Beide Baumarten haben sich dort nicht selbst angesiedelt, sondern wurden in der Vergangenheit vom Menschen zwecks Erntens von Nutzholz gepflanzt. Beide Arten wurden aus Nordamerika eingeführt und sind in der Lage, die einheimischen Buchen, Hainbuchen, Eichen und anderen Arten zu verdrängen.
„Unsere heimischen Baumarten erhalten nun die Möglichkeit, sich zu entfalten“, erklärt Achim Frede, Leiter der Naturschutzabteilung beim Nationalpark und ergänzt: „Dadurch wird nicht nur die Entwicklung eines standorttypischen Lebensraums für heimische Tiere und Pflanzen gefördert, sondern auch die natürliche Dynamik für die Wildnis von morgen angestoßen.“
Die aktuellen Arbeiten zum Waldumbau in diese Richtung bilden den Auftakt zu weiteren Aktionen, mit denen der Nationalpark in den nächsten Jahren natürliche Lebensräume entwickelt. Marco Enders, Teamleiter Flächenmanagement, koordiniert das und hat die Konzepte mit Forst- und Naturwissenschaftlern aus dem Forschungsbeirat abgestimmt. Mancher Wanderweg durchs Gebiet wird wegen der Arbeiten zeitweise gesperrt.
Wie wichtig und nützlich die Freiräume für die Natur im Nationalpark aus Sicht der Wissenschaft sind, zeigte sich zum wiederholten Mal bei einer kürzlich abgehaltenen Fachtagung von Versuchsanstalten, Forstplanungsstellen, Hochschulen und Gutachterbüros aus Deutschland wie Österreich. Die rund 90 Gäste beschäftigten sich mit Boden- und Standortkunde, Waldgeschichte, Waldentwicklung unter den Rahmenbedingungen des Klimawandels und mit Methoden, all das zu dokumentieren und auszuwerten.
Für Professor Helge Walentowski stellt der Nationalpark ein einzigartiges Anschauungsgebiet dar, „um die Prinzipien und Prozesse biologischer Systeme zu erforschen.“ Der Vegetations- und Bodenkundler von der Göttinger „Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst“ bezieht das besonders auf „die Reaktionsmuster und Anpassungen von Wald-Ökosystemen und Waldbäumen unter Einwirkung von Umweltextremen.“
Extreme Bedingungen, wie sie im Nationalpark auf den Windwurfflächen zu finden sind. Auf ihnen haben schwere Stürme vor Jahren und Jahrzehnten Fichten-Monokulturen den Garaus gemacht.
Extreme Bedingungen, wie sie von jeher an den Steilhängen des Edersees herrschen. Sie verlangen den heimischen Buchen, Eichen und anderen Arten beim Überleben alles ab. Tragen diese Bäume genetisches Erbe in sich, das ihre Nachkommen wappnet gegen Dürrezeiten und andere Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt?
Extreme Bedingungen, wie sie dort zu finden sind, wo der Nationalpark schon heute viele Charakterzüge eines mitteleuropäischen Urwaldes aufweist – wegen des fürstlichen Nutzungsverbotes aus historischer Zeit; bundesweit eine Seltenheit. All das nimmt die Wissenschaft unter die Lupe. „Das Gebiet kann wertvolle Anschauungsgrundlagen für zukünftige Waldbau- und Klimaanpassungsstrategien liefern“, ist Helge Walentowski überzeugt. MATTHIAS SCHULDT
2024 WLZ 15. 11.