2024 WLZ 14. 09. 50 JAHRE WALDECK-FRANKENBERG
Wirtschaft wächst an Eder und Diemel heranErst die Eisenbahn bringt den Wohlstand
VON DR. KARL SCHILLING
Die Industrialisierung: Frankenberger Thonet-Arbeiter in den 1920er Jahren mit Bugholz für Stühle.
Waldeck-Frankenberg – Ein guter Mix aus Branchen und aus kleinen, mittleren und Industriebetrieben, pfiffige Unternehmer mit klugen Geschäftsideen oder ausgeklügelten technischen Entwicklungen, motivierte Facharbeiter, eine im landesweiten Vergleich niedrige Arbeitslosenquote: Waldeck-Frankenberg weist im Jubiläumsjahr eine robuste Wirtschaft auf.
Das war nicht immer so: Über Jahrhunderte galt das Land an Eder und Diemel als arm und rückständig. Was boomte, war der Konsum von Bier und Brantwein.
Die Landwirtschaft
Die Wirtschaftsgeschichte beginnt mit der Landwirtschaft. In der Jungsteinzeit ließen sich umherziehende Jäger und Sammler nieder und begannen mit Viehzucht und Ackerbau. Eine Arbeitsteilung entwickelte sich, erste Handwerker kamen auf, die ihre Kunst verfeinerten.
Auch Metallverarbeitung gab es wohl schon, wie Reste von Rennöfen bei Dainrode zeigen. Kupfer für die Bronzeherstellung und später Eisen waren gefragt. Schon im Mittelalter begann in Adorf oder Bergfreiheit der Bergbau.
Handelsstraßen
Straßen beflügelten den Handel. Die wichtige Heerstraße oder Wagenstraße von Frankfurt nach Bremen bescherte einigen Städten Wohlstand: Korbach trat dem Hansebund bei, Frankenberg wurde zum Zentrum des hessischen Tuchhandels. Als sich die Handelswege nach Osten verlagerten, fielen die Städte für Jahrhunderte in einem „Dornröschenschlaf“, sie wurden „Ackerbürgerstädtchen“ mit Handwerkern, ein paar Händlern und Landwirten. Verheerende Großbrände und ständige Kriege sorgten immer wieder für Wohlstandsverluste. Die Landwirtschaft blieb lange die Haupteinnahmequelle im Land.
Bergbau und Hütten
In der Neuzeit versuchten die Landesherren, die Wirtschaft durch den Bergbau zu beleben. Bei Geismar und Twiste wurde Kupfer abgebaut, im Eisenberg bei Korbach Gold – das Edelmetall wurde auch an der Eder gewaschen. Eisenhütten arbeiteten an der Eder von Reddighausen über Frankenberg bis Berich. Im Orpethal bestanden im 17. Jahrhundert drei Hammerwerke für Eisen, eine Kupferhütte und eine Sägemühle. Elleringhausen hatte ebenfalls eine Kupferhütte.
Die Hütten benötigten allerdings viel Kohle, die Wälder schrumpften – die Obrigkeit musste einschreiten und auf Nachhaltigkeit achten.
Aus der 1800 von Johann Christian Carl Binzer in Hatzfeld gegründeten Papiermühle ging eine moderne Fabrik für Spezialfilter hervor, die seit 2001 Hollingsworth & Vose gehört. In Wethen entstanden drei Papierfabriken, Twiste hatte eine Papiermühle und ab 1890 eine Spulenfabrik. Auch eher kleine Webereien waren in Betrieb.
Die Industrialisierung
Die im 19. Jahrhundert beginnende Industrialisierung ging an Eder und Diemel zunächst vorbei, Waldeck und Frankenberg blieben landwirtschaftlich geprägt. Für viele reichte der Verdienst nicht aus: Tausende wanderten ins Ruhrgebiet aus, in dem neue Industrien entstanden – Wuppertal wurde zur „heimischen Hauptstadt Waldecks“. Und es gab mehrere Auswanderungs-Wellen nach Übersee: Wirtschaftsflüchtlinge suchten sich in der „Neuen Welt“ eine Zukunft.
Der Fortschritt kommt
Erst Ende des 19. Jahrhunderts kam es auch an Eder und Diemel zu einem grundlegenden Wandel, der endlich mehr Wohlstand brachte. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Eisenbahn. Die neuen Verkehrswege erlaubten nicht nur Handwerkern und Bauern, ihre Produkte leichter in den wachsenden Großstädten zu vermarkten, sie waren auch die Voraussetzung für die Ansiedlung von ersten Industriebetrieben:
■ In Frankenberg bauten die aus Boppard am Rhein stammenden Gebrüder Thonet 1889 ein Zweigwerk – das Buchenholz der waldreichen Region lockte die Möbelhersteller.
■ In Korbach erhörte der gebürtige Alleringhäuser Louis Peter das Flehen der Stadtväter und gründete 1907 eine Gummifabrik, die er auf Fahrradreifen spezialisierte. Das 1929 mit Continental zusammengeschlossene Werk zählt heute neben Viessmann in Allendorf zu den kreisweit größten Arbeitgebern.
Die Werke brachten Hunderte in Lohn und Brot. Auch andere profitierten vom Fortschritt: Kunstdünger und neue Anbaumethoden erhöhten den Ertrag der Bauern, Sparkassen und Raiffeisen-Kassen gaben ihnen und Unternehmern finanzielle Spielräume für Investitionen. Der Strom brachte Licht – und Elektromotoren für Betriebe.
Ein weiteres Standbein wurde der Tourismus – wie vorigen Samstag berichtet.
Die Nationalsozialisten führten Deutschland nach 1933 in den Abgrund. Im Zweiten Weltkrieg stellten sie die Wirtschaft auf Kriegsproduktion um und setzten Gefangene und Zwangsarbeiter ein. Der propagierte „Endsieg“ kam 1945 – aber für die Alliierten, die Deutschland in Besatzungszonen aufteilten.
Die Wirtschaft lag am Boden. Häuser und Fabriken waren zerstört, Verkehrswege und Lieferketten unterbrochen. Tausende Ausgebombte und Vertriebene bevölkerten die Städte und Dörfer, es fehlte an allem.