2024 WLZ 02. 07. Der Eilzug pfeift zur Kaffeezeit

Erinnerungen an das alte Sachsenhausen – Heute die Landwirtschaft

VON JÖRG SCHÜTTLER

Landwirtschaft früher: Wenn im Herbst das Getreide abgeerntet war, zog ein Schäfer mit seiner Schafherde über die Felder bei Sachsenhausen.

Waldeck-Sachsenhausen Friedhelm Artz hat Erinnerungen an das alte Sachsenhausen aufgeschrieben. Der heutige Beitrag aus der Reihe dreht sich um die Landwirtschaft:

Um 1950 gab es in Sachsenhausen einen Gemeinde-Eber, der im Stall des Bauern Friedrich Hartmann gehalten wurde. Dieser Eber wurde zum Decken von Bauernhof zu Bauernhof ausgeliehen. Fritz Scheuermann trieb den Eber zu den Schweinen hin und holte ihn nach dem „Decken“ wieder ab.

Gefräßiger Eber

Einmal rannte der Eber über den Bürgersteig, wo vor dem Lebensmittelladen Laartz auf mehreren Tischen Obst und Gemüse auslagen. Der Eber war schneller als Scheuermann, der ein steifes Bein hatte. Die Wutz stieß den Tisch mit Obst und Gemüse um und bediente sich. Herr Laartz hörte den Krach und war aus dem Häuschen, als er die Bescherung sah. Seitdem trug der Eber auf den Weg zum Decken ein Seil am rechten Hinterbein, so hatte ihn sein Besitzer unter Kontrolle.

Nach der Schule mussten die Kinder in der Landwirtschaft mithelfen. Friedhelm Artz berichtet: „Die Kleinbauern, haben mit Kühen und Pferden kleine Parzellen bewirtschaftet, zum Beispiel Rot- und Weißklee, Luzerne, Kartoffeln, Rüben und verschiedene Getreidearten. Wir hatten auch ein anderes „Bild“ von der Natur- und Vogelwelt. Viele Schmetterlinge und Insekten fanden noch genügend Nektar, da in der damaligen Zeit kaum Pestizide verwendet wurden. Auch zahlreiche Wiesen mit verschiedenen Blumen trugen dazu bei. Wenn man an den Feldern und Wiesen vorüber lief, hörten wir es summen und brummen.

Wurden die Felder umgepflügt, fanden Scharen von Raben viele, viele Würmer und Engerlinge. Wenn die Bauern Getreide gedroschen hatten, wurde die Spreu auf die Wiesen zu einem Haufen gefahren und im Frühjahr als Wiesendünger verwendet. Die Vogelwelt fand so im Winter Futter.

Auch die Rebhühner fanden Nahrung. Wenn im Herbst das Getreide abgeerntet war, zog der Schäfer mit seiner Herde über die Stoppelfelder. Schön fanden wir es als Kinder, wenn die Hoftore geschlossen waren, dann war Sonntag.“

Die Kinder waren schon in junge Jahren in der Landwirtschaft mit eingespannt. „Es fing an mit Kartoffeln lesen, Rüben ausmachen, Heu wenden und später einfahren“, erinnert sich Artz. „Beim Fruchteinfahren zur Scheune musste ich Bunde einer Person zuwerfen, die sie dann auflagern sollte. Schwierigkeiten gab es manchmal beim Auflegen der Bunde, die ja einmal mit Stoppeln und einmal mit Ähren aufgelegt werden mussten. Hat man im Rhythmus nicht aufgepasst, bekam man schon mal eine Backpfeife.“

Keine schöne Arbeit war es, wenn die Kinder auf den Knien rutschten und die Rüben verzogen, erinnert sich der Sachsenhäuser. „Denn um die stärksten Rüben wuchsen einige kleine Rüben, die vor den großen Rüben ausgezogen werden mussten.“ Bei den langen Rübenreihen war kein Ende abzusehen. So sangen die Kinder zwischendurch immer wieder: „Lieber Gott, lass Abend werden, Morgen wird‘s von selber.“

Da die Kinder keine Uhr hatten, „richteten wir uns mit der Zeit nach dem Pfeifen des Zuges. Kam der Eilzug um 15.30 Uhr von Amsterdam nach Wildungen, so wussten wir, dass es bald Kaffeezeit auf dem Feld ist“. Das war für die Kinder eine Freude, denn die Knie konnten sich ein wenig erholen.“

Vorsicht Nachtraben

Wenn der Sachsenhäuser abends zum Milchholen ging, fütterten die Bauern ihre Tiere in den Ställen. Man hörte die Blecheimer klappen, die Kühe blöken und die Schweine kreischen, erzählt Artz. Da war abends immer Leben in den Straßen. Als er vom Milchholen im Dunkeln zurückging, sagte ein Mann: „Junge, mach dass du heim kommst, sonst holen dich die Nachtraben.“ Da kreisten die Gedanken im Kopf des Jungen. „Als ich weiter lief, hörte ich Laute, da dachte ich, es wäre ein Rabe. So lief ich noch schneller. Ein Deckel fehlte auf meiner Milchkanne, so verlor ich viel Milch. Und meine Hose bekam auch noch etwas ab. Zu Glück war es kein Rabe, sondern die Wetterfahne knarrte vor dem Haus von Steingrafs im Wind.“

Büll zur Dreschzeit

Wie jedes Jahr wurden zur Dreschzeit einige Arbeiter gebraucht. Nachdem der Maschinist zur Kaffeepause gepfiffen hatte, gab es „Büll“, eine Art süßer Stuten, mit Butter und Himbeermarmelade. Erstaunt sah die Bäuerin nach kurzer Zeit, dass der Büll schon weg war. Sie rief: „Maschinist Lui, pfeif die Dreschmaschine wieder an, sie haben schon den ganzen Büll verzehrt.“ Der Maschinist entgegnete: „Dann geh doch in die Räucherkammer, wo Schinken und Wurst hängen.“

Nach der Kaffeepause räumte die Bäuerin das Kaffeegeschirr ab. Erstaunt entdeckte sie in der Besteckschublade viele Scheiben Büll. Darüber musste sie selbst lachen, denn die Arbeiter hatten sich einen Scherz erlaubt und dort die übrigen Scheiben versteckt.“