2024 WLZ 30. 07. Der deutsche Wald verschwindet
Borken- und Eichenprachtkäfer setzen besonders den Nadelbäumen zu
VON DOREEN GARUD
Abgestorbene Fichten stehen neben neu angepflanzten Laubbäumen in Wuchshüllen auf einer Schadfläche des Thüringer Forstamts Erfurt-Willrode. FOTO: dpa
Frankfurt – Verknöcherte Eichen, lichte Buchenhaine und tiefe dunkle Wälder aus Fichten: Die Wälder, durch die Menschen gerade jetzt in den Urlaubswochen gerne streifen, wird es nach Ansicht von Forstexperten nicht mehr lange geben. „Man stellt sich den Wald gerne so vor wie in seiner Kindheit, aber die Wälder verändern sich jetzt“, sagt Henrik Hartmann, Leiter des Instituts für Waldschutz am Julius Kühn-Institut in Quedlinburg.
Die Bäume kämpfen mit den Folgen des Klimawandels. Hitzewellen, lange Trockenperioden und Stürme schwächen sie. Während der Wald unter den extremen Wetterkapriolen der vergangenen Jahre litt, profitierten viele Schädlinge wie Insekten und Pilze von den steigenden Temperaturen. Sie treiben damit den Waldumbau voran, meint Ralf Petercord, Waldbauexperte des Forstministeriums in Nordrhein-Westfalen.
Am deutlichsten sieht man das an den Fichten. Über Jahrhunderte setzte die Forstwirtschaft auf die schnell wachsenden Bäume, überall entstanden Reinbestände – die in den vergangenen Jahren ein gefundenes Fressen für die Larven der Buchdrucker-Borkenkäfer waren. In manchen Regionen wie dem Harz traten die Insekten seit 2018 in solchen Massen auf, dass es dort kaum noch alte Fichtenwälder gibt. Die Fichte weist die höchste Absterberate aller Baumarten auf. Zumindest die Höhenlagen der deutschen Mittelgebirge galten vielen noch als sicher, doch auch dort, wo es einst kühl und feucht genug für Fichten war, greift der Borkenkäfer die gestressten Nadelbäume massenhaft an. „Die Temperaturen sind selbst in Höhenlagen von 1000 bis 1500 Metern ausreichend, damit der Buchdrucker ausschwärmt, Fichten befällt und sich fortpflanzt“, sagt Markus Kautz von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg. Reine Fichtenwälder könnten am Ende vielleicht nur noch in den rauen Hochlagen der Alpen übrig bleiben. Auch fast die Hälfte der untersuchten Eichen wies bei der jüngsten Waldzustandserhebung eine deutliche Kronenverlichtung auf.
Umbau in Mischbepflanzung
Solche geschwächten Bäume sucht sich der Zweipunktige Eichenprachtkäfer, dessen Larven ähnlich wie die des Borkenkäfers unter der Rinde leben. In einigen Regionen hat der Käfer schon bestandsbedrohende Schäden an Stiel- und Traubeneichen verursacht. „Wenn Eichenwälder vorgeschädigt sind, etwa durch die Eichenfraßgesellschaft, durch Hochwasser oder anderes, dann kann der Käfer zum Problem werden“, sagt Dominik Wonsack, ebenfalls von der Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg.
„Dann schaffen es die Bäume nicht mehr, den Käfer abzuwehren.“ Dann könnten ganze Eichenbestände absterben. Ohne den Einfluss des Menschen wären die Wälder in Deutschland von Buchen dominiert. Derzeit kommen Buchenarten auf 16 Prozent – doch auch ihnen geht es häufig nicht gut. „Am Ende des Jahrhunderts werden es die Buchen nicht mehr schaffen, 30 bis 40 Meter hoch zu wachsen, die Wälder werden lichter und niedriger“, prognostiziert der Quedlinburger Institutsleiter Hartmann.
Außerdem bereitet die sogenannte Buchenkomplexkrankheit Probleme, die häufig nach einem Hitze- oder Dürreereignis auftritt. „Es geht los mit Rissen am Stamm und einem Schleimfluss.“ Dann löse sich die Rinde, das Holz faule und es kämen verschiedene Pilze und holzbrütende Insekten wie der Buchen-Borkenkäfer.
„Grundsätzlich wehren sich die Bäume gegen Insekten und Pilzbefall, und zwar sehr effektiv“, sagt Waldbauexperte Petercord aus Nordrhein-Westfalen. „Aber das Gleichgewicht zwischen Bäumen und den anderen Organismen funktioniert oft nicht mehr.“ Ist es zu trocken, könnten zum Beispiel Fäuleerreger über die Wurzeln reinkommen, oder der Baum habe nicht genug Kraft, um Abwehrstoffe gegen knabbernde Schmetterlinge zu bilden.
Klar ist den Fachleuten: Reinbestände haben keine Zukunft. Fichtenwälder werden schon seit mehr als 30 Jahren in Mischwälder umgebaut, wie die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald erklärt. „Wir brauchen eine Vielfalt von Ansätzen, denn wir wissen nicht, wie es klimatisch weitergeht“, meint Institutsleiter Hartmann.