2024 WLZ 13.- 03. Blockierer ins Gefängnis stecken?

Bad Arolser Hochschultage starten mit einer aktuellen juristischen Streitfrage

VON ELMAR SCHULTEN

Die 41. Bad Arolser Hochschultage wurden am Montag im Bürgerhaus mit einem Vortrag über zivilen Ungehorsam aus strafrechtlicher Sicht eröffnet: (von links) VBR-Vorsitzender Wilfried Schuppe, der Marburger Strafrechts-Professor Dr. Jens Puschke und VBR-Vorstandsmitglied Dr. Ulrich von Nathusius. Foto: Elmar Schulten

Bad Arolsen – Mit ihren Protestaktionen haben die Klimakleber der sogenannten „Letzten Generation“ und mitunter auch demonstrierende Landwirte mit ihren Treckerkolonnen Teile der Öffentlichkeit gegen sich aufgebracht. Bisweilen wurde sogar der Ruf nach einer strafrechtlichen Verfolgung laut.

Beim Eröffnungsvortrag der Arolser Hochschulwoche ging der Marburger Jura-Professor Jens Puschke am Montagabend im Bürgerhaus der Frage nach, ob solche Aktionen des zivilen Ungehorsams überhaupt mit Mitteln des Strafrechts geahndet werden dürfen.

Ziviler Ungehorsam berufe sich im Kern auf die grundgesetzlich garantierten Rechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Nach einer Definition des Bundesverfassungsgerichts würden bei Aktionen des zivilen Ungehorsams bewusst Regelverletzungen begangen, um eine breite öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Grundvoraussetzung sei aber Gewaltfreiheit. Ansonsten müsse man sich über unzweifelbar strafbare Handlungen wie Körperverletzung oder Nötigung unterhalten.

Bei der Nötigung durch Straßenblockaden werde darauf abgehoben, ob eine Form der physischen Gewalt angewendet werde. Das sei in der Regel nicht der Fall, wenn Autofahrer durch Personen auf der Fahrbahn an der Weiterfahrt gehindert würden.

Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs habe aber die Rechtskonstruktion der physischen „Gewalt der zweiten Reihe“ entwickelt, die Autofahrer in der zweiten Reihe hinter den Blockierern durch vor ihnen stehende Fahrzeuge erlitten.

Grundsätzlich gelte aber, dass durch die Strafverfolgung friedlicher Protestierer in der Regel keine Befriedung der Situation erreicht werde. Vielmehr bestehe ein beträchtliches Eskalationspotenzial.

Es sei der Polizei und Staatsanwaltschaft daher anzuraten, das Strafrecht gegen friedliche Protestierer nur zurückhaltend einzusetzen.

In Bayern habe die Staatsanwaltschaft sogar eine Strafbarkeit der Blockaden wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung geprüft. Dieser Straftatbestand sei aber so weit gefasst, dass er regelmäßig sehr eng ausgelegt werden müsse, so Professor Puschke. Deshalb rate er dringend von solchen juristischen Klimmzügen ab.

Bürgermeister Marko Lambion dankte dem ausrichtenden Volksbildungsring für die seit Jahrzehnten gepflegte Veranstaltungsreihe, bei der regelmäßig namhafte Wissenschaftler der umliegenden Universitäten Einblicke in ihre Arbeit ermöglichen. Der diesjährige Eröffnungsvortrag gebe zudem wertvolle Hinweise zur rechtlichen Einordnung der aktuellen Diskussion.

Der nächste Vortragsabend im Rahmen der Bad Arolser Hochschultage wird am Mittwoch, 13. März, um 19.30 Uhr im Bürgerhaus von Professor Dr. Martin Hein vom Fachgebiet Kirchengeschichte der Universität Kassel gehalten. Der frühere Bischof der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck spricht über Digitalisierung und künstliche Intelligenz und sucht eine Antwort auf die Frage: Werden wir Menschen überflüssig?

Am Donnerstag, 14. März, spricht der Pharmakologe Professor Dr. Michael Keusgens von der Uni Marburg über „Arzneistoffe im Trinkwasser – eine Bedrohung für unsere Gesundheit?“