2024 WLZ 10. 09. „Und weil der Mensch ein Mensch ist“
Ensemble „Die Grenzgänger“ beeindruckt mit anregendem Programm in der Synagoge Vöhl
VON DR. HARTMUT WECKER
Geschichte erlebbar machen: Das Ensemble „Die Grenzgänger“ präsentierte in der Vöhler Synagoge Lieder aus sechs Jahrhunderten. Foto: Dr. Hartmut Wecker
Vöhl – „Und weil der Mensch ein Mensch ist“: Unter dieses Motto, eine Textzeile aus dem „Einheitsfrontlied“ von Bert Brecht und Hans Eisler, hatte das Bremer Ensemble „Die Grenzgänger“ das Programm gestellt, das es am vergangenen Samstag, am Vorabend des „Tags des offenen Denkmals“, in einem Konzert in der alten Synagoge Vöhl präsentierte.
„Die Grenzgänger“, das sind Michael Zachical (Gitarre, Gesang, Moderation), Frederic Drobnjak (Gitarre); Annette Rettich (Cello) und Felix Kroll (Akkordeon). Die Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, Geschichte erlebbar und erfahrbar zu machen und zwar anhand von (oft vergessenen) Liedern, die das Zeitgeschehen aus der Sicht der „sogenannten kleinen Leute aus Fabrik, Straße und Alltag“ (Programmtext) reflektieren.
Im Repertoire haben „Die Grenzgänger“ Lieder aus sechs Jahrhunderten, Volkslieder in dem Sinne, dass ihre Entstehung nicht einem primär ästhetisierenden Kalkül geschuldet ist, sondern die persönliche und individuelle Sichtweise von Menschen in zum Teil existenziell bedrohlichen Lebenssituationen in den Fokus stellt. In diesem Fall waren es zunächst Lieder, die in der Zeit des Nationalsozialismus in deutschen Konzentrationslagern entstanden sind. Quelle dafür war das 1962 in Leipzig erschiene Liederbuch „Lieder aus faschistischen Konzentrationslagern“ der Musikwissenschaftlerin Inge Lammel, die auch das Abeiterliedarchiv an der Ost-Berliner Akademie der Künste aufgebaut hatte.
Diese Lieder schildern das Leid, die Entwürdigung und Erniedrigung in den Konzentrationslagern, aber ihnen allen gemeinsam ist, das sie nicht in Resignation erstarren, sondern der unerschütterlichen Hoffnung Ausdruck geben, dass sich alles zum Besseren wenden und die gute Sache siegen wird.
Michael Zachical trug die Stücke sehr eindringlich mit, wandlungsfähiger, facettenreicher und ausdrucksstarker Stimme vor, einfühlsam begleitet von den anderen Mitgliedern des Quartetts. Alle vier sind Vollblutmusiker, die ihre Instrumente in Perfektion beherrschen und durch ihr virtuoses Spiel das Publikum immer wieder zu Beifallsstürmen motivierten.
Michael Zachical verband die einzelnen Stücke mit klugen und kenntnisreichen Kommentaren, die einerseits die Umstände der Entstehung verdeutlichten und darüber hinaus die Texte auch in ihrem politischen, sozialen und kulturelle Kontext verorteten.
Musikalisch dominierten swingende Melodien, die Vitalität und Lebensfreude ausstrahlten, auch dort, wo eigentlich ein Marschrhythmus im Urtext vorgesehen war. Aber musikalische Formen wie der Marsch, die die Individualität des Menschen in der gleichgeschalteten Masse auflösen, haben in der musikalischen Sprache der „Grenzgänger“ keinen Platz. Selbstverständlich waren in der Vöhler Synagoge aber auch bekannte Stücke zu hören wie zum Beispiel das titelgebende Einheitsfrontlied oder die praktisch schon zu einem Volkslied gewordenen „Moorsoldaten“.
„Lili Marlen“, das bereits 1915 entstanden und vom Autor Hans Leip mit einer eigenen Melodie versehen worden war, konnte man in dieser Urfassung hören, die sehr viel persönlicher und emotionaler klang als die heute verbreitete „marschierende“ Version von Norbert Schultze.
Als Zugabe gab es die Europahymne, Beethoven/Schillers Ode an die Freude, in einer swingenden Version, an der auch Chuck Berry seine Freude gehabt und eingestimmt hätte.
Insgesamt war dies ein sowohl musikalisch wie auch intellektuell anregendes Programm und das Publikum war sich darin einig, dass eine Fortsetzung unbedingt folgen sollte.