2023 WLZ 05. 07. Leinsamen für Brot und Brötchen

ANBAU VON LEIN Landwirt Markus Sippel aus Helmscheid

VON WERNER EBERT

Marktnische in Blau: Markus Sippel aus Helmscheid dürfte nach Aussage des Bauernverbandes der einzige Landwirt in Waldeck-Frankenberg sein, der im laufenden Jahr Lein anbaut. Fotos: Werner Ebert

Korbach-Helmscheid Während die Mohnblüte in Germerode hessenweit bekannt ist und Tausende von Touristen anzieht, kennen die Flachsblüte im Korbacher Ortsteil Helmscheid hingegen nur wenige. Dabei ist sie ebenso sehenswert. Denn
das lichte Blau auf dem Feld des Angushofs Sippel ist ausgesprochen ungewöhnlich und eine Augenweide. Außerdem ist es die alte Kulturpflanze Lein wert, dass sie wieder entdeckt und ihre jahrtausendalte Geschichte nicht vergessen wird.
Das rund fünf Hektar große Flachsfeld in Helmscheid ist nach den uns vorliegenden Informationen das einzige im Landkreis Waldeck-Frankenberg, auf dem im laufenden Jahr Flachs angebaut wird. Das ergab eine Nachfrage beim Bauernverband. Sohn Markus Sippel verantwortet bei den Sippels die Bewirtschaftung der Felder. Diese geschieht seit 2008 biologisch. Der Junior hat sich für den Anbau von „Back-Lein“ entschieden, bei dem die dunklen Samenkörnchen als Zutaten beim Backen von Brot und Brötchen verwendet werden. Er hofft, eine Marktnische entdeckt zu haben: Er hat er eine Bio-Vermarktungsgesellschaft gefunden, die ihm die Abnahme der Jahresproduktion von den fünf Hektar Flachs garantiert. Geerntet wird mit dem Mähdrescher, den Markus wegen der zähen Fasern aber mit besonders scharfen Messern präparieren muss. Die Arbeit macht er aber gerne: „Ich bin ein Schrauber!“, sagt er und lacht.
Da Kühe das Stroh nicht mögen, wird es gehäckselt und der Einstreu beigemischt. So landet es schließlich im Mist und wieder auf dem Acker, denn der Hof hat sich einer strikten Kreislaufwirtschaft verschrieben.
Markus Sippel ergänzt, dass es außer dem Back-Lein auch den Gold-Lein gibt, dessen helle Körner zur Herstellung von Speise-Öl verwendet werden. Das werde vor allem im Spreewald sehr geschätzt, „Kartoffeln, Leinöl und Quark machen den Spreewälder stark“. Zwar werde das Öl schnell ranzig, lasse sich dann aber immer noch gut als Holzschutzmittel verwenden.

Vom Flachs zum Leinen

Eine noch wichtigere Rolle bei der Verwertung von Lein spielen die Fasern aus den Stängeln. Sie haben dem daraus hergestellten „Leinen“ seinen Namen gegeben. Dazu erklären Hiltrud und Heinz Hauptführer von der Heimatstube im Frankenberger Stadtteil Geismar, dass es zu diesem Zweck eigens Züchtungen gibt, die höher wachsen.
Nach der Ernte beginnt ein komplizierter Prozess, bei dem nur zehn Prozent als Fasern übrig bleiben, erklärt Heinz Hauptführer. Er startet mit einer Rotte, entweder zehn Tage im Wasser oder etwa drei Wochen unter Wenden auf der Erde. Dann folgen Trocknung, Bearbeitung mit Schwinge und Hechel, Spinnen, eventuell Färben und schließlich das Weben.
Je nach Stärke der Fäden kann grobes Sackleinen oder auch feinestes Tuch entstehen. Die Produktion von Leinen sei nach dem 2. Weltkrieg schlagartig zum Erliegen gekommen, weil dann Baumwolle und Kunstfasern Verwendung fanden, weiß Heinz Hauptführer. Momentan werde aber in der Sommermode auch wieder gern Leinen getragen, weil es angenehm kühle.  ww

In der Heimatstube des Heimat- und Kulturvereins Geismar wird auch der Weg vom Flachs zum Leinen gezeigt. Auch Kindergärten und Schulklassen sind willkommen. spinnen-weben.de

Aussteuer und Stickerei

Wie unterschiedlich die Leinen-Qualitäten sein können, zeigt bei Margot Völker aus Wiesenfeld, einem Ortsteil von Burgwald. Margot Völker verfügt über eine große Sammlung von Leinen-Tüchern, deren Grundstock aus Aussteuer bestand – Bettwäsche, Tücher und Tischdecken, wie es üblich war.
Später kamen Erbstücke und gestickte Geschenke hinzu. Einige Stücke verdeutlichen, welche Bedeutung für Mädchen die Stickerei hatte. Die Fertigstellung dauerte manchmal Jahre, genäht und gestickt wurde meist in den Abendstunden der Wintermonate – im Sommer war dafür keine Zeit. Margot Völker verdeutlicht das an einer Tischdecke in Hardanger-Stickerei. Dabei werden Fäden aus dem Leinen gezogen und die so entstandenen Löcher sämtlich mit Knopflochstickerei eingefangen. Aber auch die Ornamenten-Stickerei war äußerst aufwendig auf der Struktur des feinen Leinens.  ww