2023 WLZ 20. 05. NEUE CHRONIK FREIENHAGEN

Buch und Festakt stoßen auf großes InteresseErstauflage kurz nach Erscheinen vergriffen

VON CHRISTIANE TRIERWEILER

„Janischs“ Gemälde vom historischen Ortskern Freienhagen soll bald im dortigen alten Rathaus hängen.

Der Waldeckische Geschichtsverein hat eine neue Ortschronik herausgegeben: Sie handelt von Freienhagen und wurde bei einer gut besuchten Feierstunde in der dortigen Stadthalle vorgestellt.

Freienhagen Ortsvorsteher Martin Schwechel und der Vorsitzende des Waldeckischen Geschichtsvereins Günter Engemann begrüßten mehr als 100 Interessierte. „Ein Markenkern unseres Vereins ist die Herausgabe von Ortssippenbüchern, die im Waldeckischen inzwischen fast flächendeckend erschienen sind“, erläuterte Engemann. Die Freienhagener Ausgabe von 1993 und ihre aktualisierte Fassung von 2018 bereiteten den Weg für das nun erschienene Buch, denn aus der damaligen Tätigkeit heraus gründete sich eine Arbeitsgruppe für die Chronik.
Engemann freute sich über die große Spendenbereitschaft der Sponsoren im Ort, wodurch der Kaufpreis für die neue Chronik bei 15 Euro gehalten wurde. Deren maßgeblicher Verfasser Joachim Geldmacher zog viele Freienhagener Bürgerinnen und Bürger für die Abhandlung zu Rate: „Unsere Älteren haben umfassende Erinnerungen, zum Teil an fast ein ganzes Jahrhundert.“ Schwerpunktmäßig gehe es um das Kriegsende. „Jeder hat diese Zeit anders erlebt“, stellte der Chronik-Autor fest.
Das Erstellen der Chronik habe ihm und der zugehörigen Arbeitsgruppe Freude bereitet, fügte er hinzu. Die weiteren Aktiven der Gruppe: Heinz Schluckebier, Hiltrud Meyer und Sabine Schluckebier schrieben Beiträge; Korrektur lasen Hiltrud Meyer, Elvira Schwechel, Ulrike Hecker und Johannes Grötecke. Friedrich Schluckebier (Jahrgang 1932) teilte vieles aus seinem Erinnerungs- und Wissensschatz mit der Gruppe. „Er ist der Nestor unter uns“, sagte Geldmacher.
Bruno Arlt vom Magistrat der Stadt zollte große Hochachtung vor der „Mordsarbeit“ und diesem Engagement. Der Freienhagener Chor „Echt live“ unter Leitung von Helen Zaloga lockerte in großer Besetzung mit Musik auf, unter anderem mit einem lustigen Lied über die Stadt „Freienhagen, Waldeck 6“ von Heinz Reuber. Martin Schwechel ehrte im Anschluss das Engagement von Joachim Geldmacher und Heinz Schluckebier. Ulrike Hecker überreichte ihnen Präsentkörbe. Schwechel hielt eine humorige Ansprache „up Platt“.
Die meisten Exemplare der Chronik, die in einer Auflage von 200 Stück erschien, waren bereits vorbestellt. Die Exemplare im freien Verkauf wurden unerwartet bereits vor Ende der Feierstunde ausverkauft. Wer noch Interesse hat, ein Buch zu kaufen, kann sich bei Joachim Geldmacher melden.
Eine zweite Auflage ist vorgesehen. Zum Abschluss des interessanten Abends zeigte Geldmacher eine Präsentation mit Fotos alter Freienhagener Wohnhäuser „gestern und heute“ mit Gegenüberstellungen historischer und aktueller Aufnahmen. Interessierte können eine digitale Kopie dieser Präsentation von ihm erhalten.

Pferdehufe zu hohem Anlass mit schwarzer Schuhcreme gefärbt

Leitgedanke der neuen Chronik Freienhagen sei es, zu schildern, wie die Bevölkerung in der Vergangenheit ihre jeweilige Zeit erlebt habe, erklärt der hauptverantwortliche Verfasser Joachim Geldmacher. Kein Geschichtsbuch im engeren Sinn entstand, sondern eher eine Sammlung zeitgenössischer Dokumente, Texte und Fotos.
Das in fünfjähriger ehrenamtlicher Arbeit gewachsene Werk wurde als gebundene Ausgabe liebevoll gestaltet. Fotos von Häusern und Straßenzügen, Menschen und persönlichen Erinnerungsstücken wie Briefen stechen hervor. Schwarz-Weiß-Fotos von Familienvorfahren wurden teilweise mit Hilfe künstlicher Intelligenz im Netz technisch nachkoloriert und erscheinen auf diese Weise lebensnah, als seien sie gestern aufgenommen worden. Ein Teil der ausgewerteten Dokumente in deutscher Kurrentschrift wurde im Buch abgelichtet. Vielen ist sie besser bekannt als „Sütterlin“ oder „Deutsche Schreibschrift“.
Zusammen mit Stichwortgeber und Mitinitiator Heinz Schluckebier suchte der pensionierte Lehrer Joachim Geldmacher das gut organisierte Stadtarchiv in Sachsenhausen auf, um alte Dokumente zu durchforsten. „Wir brauchten nicht wie Berufshistoriker systematisch alles durchzugehen, sondern konzentrierten uns auf bestimmte Themen, die uns interessierten. So artete es nicht in Arbeit aus“, sagt Geldmacher. Schluckebier brachte Ideen ein, was alles in die Chronik aufgenommen werden könnte. Geldmacher übernahm das Schreiben der meisten Texte am Computer.
Dazu musste er die Kurrent-Dokumente entziffern. „Ich habe mich seit meiner Jugend für alte Dokumente und Schriften interessiert“, erzählt er. Es fing für ihn damit an, dass er das uralte Familienstammbuch in Kurrentschrift zusammen mit seinem Vater entzifferte. Da unter seinen Vorfahren seit Generationen Lehrer waren, wurde die Familiengeschichte dokumentiert – im Gegensatz zu vielen Haushalten damals, in denen niemand des Schreibens kundig war. Trotz dieser Vorkenntnisse und Erfahrungen musste Geldmacher teilweise die am Computerbildschirm vergrößerten Texte Buchstabe für Buchstabe unter die Lupe nehmen, um sie zu entschlüsseln. „Ich kam mir manchmal vor, als sei ich in der ersten Klasse und müsse lesen lernen“, berichtet er schmunzelnd. Die unterschiedlichen Handschriften sind mal mehr, mal weniger flüssig zu lesen, je nach Talent und Sorgfalt der jeweiligen Person, die seinerzeit die Feder in Kurrent führte.
„Dazu kommt, dass manches in Latein geschrieben wurde und wir manche damals verwendeten Wörter heute gar nicht mehr kennen. Hochdeutsch und eine einheitliche Rechtschreibung gab es noch nicht“, erklärt der Geschichtsbegeisterte.
Fotos aus der alten Zeit hat Geldmacher zum Teil akribisch ausgewertet. „Dieses Hochzeitsfoto in Schwarz-Weiß finde ich deshalb so interessant“, erzählt er, über die Chronik gebeugt, „weil man im Hintergrund sieht, dass die Hochzeitsfeier nicht etwa im Wohnzimmer, sondern in der Tenne stattfand.“

Auf einem anderen alten Foto von Menschen und einem Wagen auf der Freienhagener Hauptstraße hat der Amateurhistoriker entdeckt, dass die Damen festliche Hüte tragen, die Herren Zylinder, und die Hufe der Pferde mit Schuhcreme geschwärzt sind. „Es muss um hohen Besuch zu einem festlichen Anlass gehen, vielleicht zum Freischießen. Man hat die Gäste wohl mit der Pferdekutsche vom Bahnhof in Sachsenhausen abgeholt oder sie sollten gerade dorthin gebracht werden.“ Da die Gesichter der lange verflossenen Ahnen heute keiner mehr kennt, wäre noch mehr Detektivarbeit notwendig, um die Identität der Abgelichteten herauszufinden.
Das Titelbild der Chronik ist eine klassische Zentrumsansicht von Freienhagen in Öl, gemalt von einem Korbacher namens „Janisch“. Mehr ist über ihn nicht bekannt. Das große Gemälde soll bald an prominenter Stelle im alten Rathaus hängen.    ct