XIV 2022 WLZ 31. 01. Herzlichen Glückwunsch, Meineringhäuser: Dialekt für die Nachwelt bewahrt

Mundartgruppe „Mie Meinerküser“ wird 20 Jahre alt – Feier wird nachgeholt

VON REINHARD SCHMIDT

So können nicht nur Hochdeutsch: Die Mundartgruppe Meineringhausen feiert in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Das Bild zeigt die Gruppe im Jahr 2004. Ein aktuelles Foto ließ Corona nicht zu. Foto: pr

Meineringhausen – Wenn es still wird um eine Sprache, stirbt sie. Willi Köhler war bereits Ende der 90er-Jahre aufgefallen, dass er immer seltener auf den Straßen von Meineringhausen jemanden Platt schwatzen hörte.

Dagegen wollte er etwas tun, eine Gruppe gründen, die diesen Dialekt im Dorf pflegt, erhält und vielleicht sogar an Jüngere weitergibt.

Doch er stieß mit dieser Idee zunächst auf taube Ohren, erst 2001 erhielt er während eines Teeabends der Feuerwehr von einigen Kameraden Zustimmung und Rainer Schäfer, Vorsitzender der Brandschützer, lud am 17. Januar 2002 zur Gründungsversammlung ein: Die beiden gründeten mit Wilhelm Schäfer, Werner Geldmacher, Werner Isenberg und Klaus Schäfer die Mundartgruppe, der sie später den Namen „Mie Meinerküser“ gaben.

Schnell wurden es mehr Dialektretter, Frauen kamen hinzu und nicht jeder, der mitmachte, konnte das Meinerküser Platt auch sprechen. 30 bis 35 Mitglieder waren vor einigen Jahren dabei, heute sind es noch rund 25.

Die Feuerwehr übernahm die Schirmherrschaft für diese Gruppe, die nun als Abteilung geführt wird. Der erste Vorsitzende hieß natürlich Willi Köhler, ihm folgten Wilhelm Schäfer (2005-2007), Rainer Schäfer und seit 2009 ist Lieselotte Schmidt in der Führungsposition.

Die Gruppenmitglieder kümmern sich aber nicht nur um Sprache, Geselligkeit ist ebenfalls Trumpf, sie feierten viele Feste, oft mit Platt-Schwatzern aus anderen Dörfern, nahmen am Kirmesfestzug teil, unternahmen Fahrten und veranstalteten fünf Mundartabende, bei denen Sketche gespielt, Texte vorgelesen wurden – alles auf Platt, stets vor vollem Haus in der Walmehalle. Außerdem haben sie Schilder gebaut, darauf auf Platt die heutigen oder damaligen Flurnamen geschrieben und diese in der Gemarkung aufgestellt. Sogar in zwei Gottesdiensten wurde nur Platt gesprochen. Auch die Nachwuchsarbeit kam schnell auf die Beine und nur zwei Jahre nach der Gründung unterrichteten Lieselotte Schmidt und Annemarie Klinke acht Kinder in der „Fremdsprache“ Platt. Sie waren aber nur bis zum Studien- oder Berufsbeginn bei den Plattschwatzern aktiv. Es sollte die bislang einzige Kinder- und Jugendgruppe bleiben.

So können nicht nur Hochdeutsch: Die Mundartgruppe Meineringhausen feiert in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Das Bild zeigt die Gruppe im Jahr 2004. Ein aktgelles Foto ließ Corona nicht zu.          foto:pr

Sprachunterschiede schon innerhalb des Dorfes

Und nachdem nun die Feier zum 20-jährigen Bestehen ausfallen musste und im Frühsommer nachgeholt werden soll, sitzen Willi Köhler, Rainer Schäfer, Lieselotte Schmidt, Annemarie Klinke und Werner Geldmacher an einem Tisch. Ihre Bilanz nach zwei Jahrzehnten „Mie Meinerküser“, fällt nicht in allen Punkten positiv aus.

„Wir haben es nicht geschafft, andere Leute im Dorf zum Plattschwatzen zu bewegen“, gibt Schäfer zu, der mit 67 Jahren der Benjamin der Gruppe ist. Der Zugang zum Platt werde nun auch immer schwieriger, denn auch die meisten Großeltern könnten kaum noch ein Wort in diesem Dialekt an ihre Enkel weitergeben.

„Meine Enkel haben mich noch gefragt, Oma wie heißt das Wort auf platt, heute sagen sie, Oma sprech Deutsch“, sagt Annemarie Klinke. „Und wer kennt heute noch Wejje, das Brötchen“, fügt Geldmacher hinzu.

Wer das Meinerküser Platt, ein niederdeutscher Dialekt, dennoch lernen möchte, kann das tun. „Unsere Gruppe hat wegen des hohen Alters der Mitglieder vermutlich keine große Zukunft mehr, aber es gibt trotzdem noch Chancen, dass das Platt weitergeht“, betont Schäfer und fügt einschränkend hinzu: „Aber nur, wenn jetzt noch einige dazukommen.“ Wer es noch lernen möchte, müsse nicht der Gruppe beitreten, sondern „wir können auch in Kleingruppen mit den Leuten das Plattsprechen üben“.

Auch wenn der Dialekt eines Tages im Dorf aussterben sollte, hat die Gruppe viel erreicht. Durch ihre Arbeit wird das Meinerküser Platt nicht mehr in Vergessenheit geraten, denn sie haben es zu Papier gebracht und ihn auch Sprachwissenschaftlern an der Universität in Marburg zugeführt. „Es gab bislang nichts Schriftliches darüber“, betont Schäfer. Federführend war hier vor allem Willi Schäfer, der viel Schreibarbeit geleistet hat, aber den Pressetermin krankheitsbedingt absagen musste.

„Bisweilen wussten wir noch nicht einmal, wie die Worte korrekt geschrieben werden“, sagt die Vorsitzende Lieselotte Schmidt. Sie hätten Hilfe von Herbert Jakob aus Bründersen erhalten, der sich dieses Rechtschreibwissen selbst angeeignet habe.

Auch durch die sogenannten Wenker-Sätze haben sich die Dialekt-Liebhaber aus Meineringhausen sprachlich weiterentwickelt. Wissenschaftler nutzen dabei 42 Sätze des Sprachforschers Georg Wenker (1876), um Unterschiede in den Dialekten herauszufinden.

Hier hat die Meinerküser-Gruppe mit der Universität Marburg und mit Andreas Karl Böttcher vom Waldecker Geschichtsverein zusammengearbeitet. Sie sammeln Dialekte in Wort und Ton und diese Daten fügen die Marburger Forscher in ihr Archiv mit ein und es ist Teil des Deutschen Sprachatlas.

Die Meineringhäuser sprechen einige Wörter ihres Platts anders aus als die nur drei Kilometer von ihnen entfernt wohnenden Strother oder die Alrafter und Höringhäuser. „Sogar innerhalb von Meineringhausen gibt es Sprachunterschiede“, erzählt Köhler. „Im Oberdorf sprechen sie manche Worte auf Platt anders aus als im Unterdorf.“ Der 84-Jährige weiß, dass die Schule das immer näher kommende Ende des gesprochenen Dialekts mit auf dem Gewissen hat. „Als eck in de Schaule kam, konnte eck kenn Hochdeutsch, eck hawe biem Diktat Platt geschriwen, da wor im Hefte fast alles raut angestrecken.“ Der Lehrer habe auch nicht gewollt, dass die Schüler platt schreiben.

Ein Treffen der Mundartgruppe kann manchmal auch wie eine archäologische Ausgrabung ablaufen, denn durch die Gespräche kommt einem ab und zu ein Wort über die Lippen, das die anderen nicht kennen und das der Redner selbst vergessen, aber im Unterbewusstsein gespeichert hat. „Sofort aufschreiben!“ heißt es dann immer, sonst gerät es wieder in Vergessenheit.

Und genau darin sehen die Meinerküser Sprachbewahrer auch ihre Hauptaufgabe in der Zukunft. Noch so viel wie möglich über ihren Dialekt für die Nachwelt zusammentragen. Auslaufen lassen, nicht beerdigen. Ken Plauch bliewet schton. – kein Pflug bleibt stehen.  rsm