II 2020 WLZ 24. 06. „Hamstern und Tauschgeschäfte“

Hamstern und Tauschgeschäfte

75 JAHRE KRIEGSENDE Gerda Frese berichtet über die Hungerjahre nach 1945

Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich in die­sem Jahr zum 75. Mal. In unserer Serie berichten Zeitzeugen, wie sie das Kriegsende im Waldecker Land erlebt haben. Heute berichtet Gerda Frese aus Höringhausen über die Hamsterfahrten.
Waldeck-Höringhausen. – Die Ernährung war in den Kriegs­jahren schon nicht rosig – ge­rade für die, die keine Ver­wandtschaft oder Bekannte auf dem Lande wohnen hat­ten. Sie konnten sich nicht auch nur vorübergehend mal satt essen.
Selbst Mutters „Herr­schaft“, reiche Fabrikanten aus Barmen, erinnerten sich an ihre Luise. Frau Herzog er­holte sich bei uns, auch Toch­ter Gerda mit Ehemann Bernd Bach traf für ein Wo­chenende ein.
Nach Kriegsende begannen katastrophale Hungerjahre. Deutschland lag in Trüm­mern. Versorgungswege wa­ren zusammengebrochen, es gab Ernteausfälle, die Besat­zungsmächte waren nicht fä­hig, die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Wir sahen es so, dass es ihnen in erster Linie um Bestrafung ging, um die Demontage, also den Abbau von Fabrikanlagen, die den Krieg überlebt deutschen Bergwerken, hatten. Und vor allem lief der    Die Menschen in den zerstörten in Kellern. Strom und Gas zum Kochen wurden nur stundenweise angestellt. Pappe ersetzte oft Fensterschei­ben. Mit Mänteln bekleidet lagen die Menschen im Win­ter im Bett – wenn noch vor­handen. Viele verhungerten, und erfroren.
Der Selbsterhaltungstrieb ließ die Menschen zu Holzfäl­lern werden, Parkbäume er­gaben Brennholz, alle greif­baren Grünflächen wurden zum Gemüse- und Kartoffel­anbau genutzt.
Die Züge waren zu dieser Zeit voll besetzt mit hungern­den Menschen, selbst auf Trittbrettern und Puffern ka­men sie aus der Stadt auf das Land, bettelten um Brot und Kartoffeln, ja sogar um Speckschwarten. Ein Tausch­handel begann. Teile der Landbevölkerung kamen so zur Kleidung, Schmuck, Tep­pichen und tatsächlich zum Klavier. Im Rheinland fuhren voll beladene Kohlenzüge in Richtung Frankreich, wäh­rend Deutsche erfroren. Mu­tige Männer sprangen auf fahrende Züge, warfen Koh­len auf Gleise, die eilig einge­sammelt wurden. Der Kölner Josef Kardinal Frings gab den Segen dazu – weshalb der Kohleklau auch „fringsen“ genannt wurde.
Wer diese Zeit mit all den Nöten miterlebte, wird sie sein Leben lang nicht verges­sen.         red

Junkers stürzt am Rudolfshagen ab

Gerda Frese hat auch nieder­geschrieben, was ihr Mann Hermann Frese 1945 erlebt hat – er war damals 17 Jahre alt. In seinen Erinnerungen kommt auch der Absturz ei­nes deutschen Kampfflugzeu­ges am 11. April 1945 am Ru­dolfshagen vor. Daran erin­nert sich auch Heinrich Figge, der die Berichte der Freses be­reit gestellt hat. Er schildert: „Wir Höringhäuser Jungen, damals 9 Jahre alt, sind natür­lich zur Absturzstelle in den Rudolfshagen. Dort haben wir Gewehrmunition gesam­melt, ein kleines Feuer ge­macht, und die Patronen hi­nein geschmissen. Selbstverständich haben wir uns dabei hinter Bäume gestellt.“

Figge berichtet auch, dass Karl Heinz Stracke 56 Jahre später den Kontakt mit dem Piloten Helmut Rietschle her gestellt hat. Der Unteroffizier war mit seinem Geschwader abkommandiert, um die von den Alliierten im „Kessel Sau­erland“ eingeschlossenen deutschen Soldaten aus der Luft zu versorgen, sie flogen die legendäre Junkers „Ju 52“.

Der Pilot berichtet: „Um 23.15 Uhr wurde unsere Ma­schine von einem gegneri­schen Nachtjäger von hinten beschossen. Unsere Maschine fing sofort Feuer. Die gegneri­schen Leuchtspurgeschosse trafen den rechten Motor und die rechte Tragfläche. Nach wenigen Sekunden stand auch der Mittelmotor in Flammen und dadurch ge­riet das Cockpit in Brand. Es gelang Leutnant Willi Tacken und mir noch aus dem bren­nenden Cockpit auszusteigen und den Fallschirm zu zie­hen. Dies alles geschah in Se­kunden. Mit den beiden im mittleren Teil der Maschine stationierten Besatzungsmit­glieder hatten wir keine Ver­bindung mehr. Ihr Ausstieg lag an der Rumpfseite.

Nach Landung mit dem Fallschirm stieß ich auf Ein­wohner des unmittelbar neben der Absturzstelle liegen­den Dorfes Nieder-Waroldem. Sie brachten mich zum landwirtschaftlichen Anwe­sen der Familie Puy. Dort er­hielt ich eine erste Versor­gung meiner erlittenen Brandwunden an beiden Händen und Gesicht.

Sie waren es auch, die eine Pferdekutsche auftrieben. Ruth Puy und Hedel Griese brachten mich mit dem Ei­gentümer der Kutsche ins zir­ka fünf Kilometer entfernt liegende Reservelazarett Arolsen und damit in ameri­kanische Gefangenschaft.

Der Familie Puy bin ich für ihre große Hilfe sehr dank­bar. Es besteht auch heute noch ein herzliches Verhält­nis zu ihnen“ Wie Tacken später erfuhr, sind von den in Berlin gestarteten 27 Maschi­nen zehn nicht mehr zurück­gekommen.        Red