Geschichte und Geschichten: Die letzte Postkutsche durch die Opperbach 

Wenn Höringhäuser früher verreisen wollten, konnten sie bei der Poststation Opperbach in eine Postkutsche einsteigen. Ab 1866 gab es auch in Höringhausen eine Poststation. Wilhelm Schmalz aus Düsseldorf , in der Opperbach geboren, hat einige Geschichten in den 1960er Jahren in der Waldeckischen Landeszeitung veröffentlicht. Die folgende fand ich im Stadtarchiv Korbach in der WLZ vom 02. 06. 1962

Die letzte Postkutsche durch die Opperbach
Von Wilhelm Schmalz, Düsseldorf
 
Mit der Eröffnung der Eisenbahnstrecke Korbach — Bad Wildungen am 1. Juni 1912, vor nunmehr 50  Jahren war die dreispännige Pferdepost zwischen Sachsenhausen und Kor­bach entbehrlich geworden: sie fuhr zum letzten Male am 31. Mai 1912. Die von Posthalter Müller, später Fin­ger, in Sachsenhausen unterhaltene Post fuhr täglich in den frühen Morgenstun­den über die Haltestellen Opperbach und Meineringhausen zum Postamt Korbach und kehrte in den späten Abendstunden auf gleichem Wege nach Sachsenhausen zurück. In der Opper­bach traf sich mit ihr in den Morgen- und in den Abendstunden die Vöhler Einspännerpost, die von dem Posthalter und damaligen Bürgermeister Müller unterhalten wurde, und wechselten hier ihre Passagiere, Pakete und Briefbeutel aus. Um die Mitte der neunziger Jahre machte der zunehmende Postverkehr einen zweimaligen Hin- und Herverkehr erforderlich. Die Morgenpost nahm von Korbach ihren Rückweg nach Sachsenhausen gegen Mittag über Hö­ringhausen — Haltestelle Eierdey — und fuhr nachmittags wiederum über Höringhausen nach Korbach, um in den späten Abendstunden über die Opper­bach wieder nach Sachsenhausen zu­rückzukehren. Das Treffen der Vöhler Post in der Opperbach blieb bestehen.
Im Falle einer Überbesetzung der Post durch Passagiere, die im allge­meinen nur in den Abendstunden von Korbach aus vorkam, hatte der Posthal­ter Frese einen Beiwagen zu stellen, was in umgekehrter Richtung von der Posthalterei Müller in Sachsenhausen zu erfolgen hatte, aber weniger vor­kam. Für den Fall einer Überbesetzung der Post von der Opperbach aus hatte die Postverwaltung entsprechende Vorkehrung getroffen und in der Halte­stelle Opperbach einen alten und schwe­ren Zweisitzerpostwagen untergestellt, der im Bedarfsfalle Vertrags gemäß von dem Bauer Heinrich Sprenger in Alraft zu bespannen war. Von dieser Einrich­tung ist aber in all den Jahren nicht einmal Gebrauch gemacht worden, denn bis sich die Bespannung ermöglichen ließ, zogen es die Passagiere vor, ihr Ziel zu Fuß zu erreichen oder im Gast­haus zur Opperbach zu übernachten.Es war eine schöne und friedliche Zeit, als die gelbe Postkutsche, die „Galosche des Glücks“ noch über unsere heimatlich stillen Sraßen dahinrollte und der Postillion auf dem Posthorn seine Weisen erschallen ließ, noch kein motorisiertes Fahrzeug die Straße beun­ruhigte und das Fahrrad noch Bewunde­rung erregte; als der ehrbare Wander­bursche mit seinem Felleisen noch die Straße entlang schritt und im Vorüber­gehen dem Landmann auf dem Felde einen freundlichen Gruß zurief.Der Postwagen und der Landbrief­träger waren für die Landbevölkerung die Zeitmesser, als die Uhr noch nicht in jedermanns Hand war; sie stellten die einzige Verbindung dar zwischen den einsamen Dörfern unserer Heimat und der großen Welt da draußen.
Mit dem Eingang der Postlinie Sach­senhausen—Korbach war auch die Vöh1er Post zur Opperbach entbehrlich geworden; sie wurde zu einer Verbin­dung nach Herzhausen mit dem An­schluß an die Eisenbahnstrecke Kor­bach—Marburg übergeleitet. Als zur Jahrhundertwende die ersten Automobile — wie sie damals genannt wurden — mit Motorengeknatter über unsere Straßen dahinratterten war es aus mit der Ruhe auf den Straßen. Das wurde von den Postillionen beson­ders unangenehm empfunden: die Pferde scheuten und drängten zur Seite. Der Postillion war gezwungen abzusteigen und die Pferde zu führen; ängstliche Passagiere wünschten auszusteigen. Erst nach und nach gewöhnten sich die Pferde an das ratternde Straßen – Vehikel.

Fahrten in der „Galosche des Glücks“ 
Im folgenden soll uns nun ein alter Postreisender von seinen Erlebnissen im Waldecker Land aus der Zeit der Post­kutsche berichten:  Weit und viel bin ich gereist und habe Deutschland kennengelernt. Ich habe mich dabei aller Verkehrsmittel bedient, des einfachen Bauernfuhr­werks, der gelben Postkutsche und schließlich auch des Kraftwagens der neueren Zeit. Viel Schönes habe ich er­lebt, aber nichts hat so nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen, als meine Erlebnisse im Waldecker Land. Mein Beruf als junger Geschäftsreisender führte mich jahrelang nach Waldeck, in die Dörfer des Werbe- und Edertales, aber auch über die nahe Grenze Wal­decks hinaus nach Vöhl und in das IttertaL In der Regel begann meine Reise von Korbach aus mit der Post. Sie führte in den Abendstunden bis zur Opperbach. Von hier fuhr ich nach Sachsenhausen oder nach Vöhl weiter. Oft übernachtete ich auch in der Opper­bach und wanderte am anderen Morgen zu Fuß durch das schöne Werbetal über Alraft, Ober- und Nieder-Werbe zum Edertal.
Die Reisen liegen schon Jahrzehnte hinter mir. Es war eine herrliche Zeit im Vergleich zu der Hast der heutigen Tage. Wie immer ich mit den Waldeckern zusammen gekommen bin mußte ich davon erzählen. Wenn mir nach dem Verlauf der viele Jahre oft Namen entfallen sind dann werden sie in der Unterhaltung wieder in mein Gedächtnis zurück gerufen. Prächtige Menschen habe ich im Waldecker Label kennen gelernt, unverfälscht in ihrer Art und ehrlich bis ins Mark. Viele sind mir gute Freunde gewesen. Leider führte mich mein Beruf in den letzten Jahren nicht mehr in das Waldeckische. Ich habe daher die Freundschaften nicht mehr pflegen können. Aber bis heute sind mir die Erlebnisse unvergessen.
Stille Wehmut beschleicht mich, wenn ich an die Fahrten in der alten gelben Postkutsche, der „Galosche des Glücks“, zurückdenke. Wo ist sie geblieben? Wo ist der Postillion im blauen Mantel und Umhang, mit dem runden, schwarz- lackierten Postzylinder, geschmückt mit der reichsfarbenen Kokarde und dem schwarzen Haarbusch, zur Linken das Posthorn an schwarzweißroter Kordel mit Quaste? Wir begrüßten uns bei der Abfahrt in Korbach stets mit Hände­drude. Ich habe ihrer viele kennengelernt, Prachtkerle waren es, harte und wettergewohnte Gestalten. Viele von ihnen sind später als Postbeamte tätig gewesen. Einzelne von ihnen waren als Postillion geradezu Virtuosen auf dem Posthorn. Wenn ich zur Sommerzeit meine Fahrt von Korbach antrat, dann war es für mich ein besonderes Erleb­nis, neben dem Schwager Postillion auf seinem Bocksitz Platz zu nehmen. Er wußte, wie sehr ich das Posthorn liebte, und er ließ sich deshalb nicht nötigen, wenn ich ihn um ein Lied bat. Einen besonderen Reiz für mich hatte es, wenn wir uns der Opperbach näherten und unser Erscheinen mit dem Postsignal ankündigten. Dann erklang im Abend­frieden des Werbetales bis zur Opperbach hinunter das alte schöne Lied: „Blau blüht ein Blümelein“, und der Kalkfelsen warf es im Echo wieder zu­rück. Und bisweilen erschallte zu gleicher Zeit von Alraft herauf die Ant­wort des Vöhler Postillions. Im Gast­haus zur Opperbach gab es kurzen Aufenthalt, der dazu benutzt wurde, eine Flasche gutgekühltes „Arolser Hofbräu“ zu trinken. Schwager Postillion, mußte auch ein Glas mittrinken, und wenn ich es ihm zum Bocksitz hinauf­reichte, dann drehte sich das Handpferd, der Braune mit der Blesse, wiehernd nach mir um und gab sich erst zufrie­den, wenn auch er seine Anerkennung in Gestalt eines Stückes Zucker gefunden hatte.

Unter blühenden Linden
Unvergessen sind mir die Stunden, die Ich in der Opperbach mit den freundlichen Wirtsleuten erlebte. Plaudernd und scherzend saßen wir an milden Sommerabenden unter den blühenden Linden mit wenigen alten Stammgästen aus dem nahen Alraft zusammen. In das Konzert der Frösche und Unken mischte sich der Ruf des Steinkauzes, Leuchtkäferchen schwirrten in Unzahl durch die Dunkelheit. Oft habe ich mit den Getreuen aus Alraft bis tief in die Mitternacht zechend zusammengesessen und manches fröhliche Lied gesungen. Wenn ich nach Erledigung meiner Geschäfte in den Dörfern des Werbetales nach der Opperbach zurückkehrte, um mit der Post nach Sachsenhausen weiterzufahren, hielt ich wieder unter den blühenden Linden und atmete den herr­lichen Blütenduft tief ein. Mein Freund Postillion kannte meine Reisegewohnheiten. Er wußte, wann ich von der Opperbach mit ihm weiterfuhr und grüßte mich daher schon von weither mit dem Posthorn. Dann fuhren wir zusammen an den dunklen Tannen des Heidberges entlang und wieder erklang das Posthorn: „Ein Sträußchen am Hute, den Stab in der Hand.”

Was ein Postillion erlebte
Wir lassen zum Schluß noch einen alten Postillion zu Worte kommen.
Er erzählt uns:
Über ein halbes Jahrhundert liegt hinter mir, als ich kaum 20jährig eine Postillionsstelle bei der Posthalterei Müller in Sachsenhausen annahm. Ich habe Jahre hindurch den Postwagen über die Opperbach nach Korbach ge­fahren.

 Der Dicke und der Lange 
Ich erinnere mich lebhaft einiger Rei­senden, die mir auf meinen Fahrten liebe Begleiter waren. Viel Freude fand ich an einem noch jungen Reisenden einer Lippstädter Branntweinfabrik, der die Gastwirte besuchte. Er war klein von Körperbau, wog aber über zwei Zentner.
Wenn er im Postwagen Platz nahm, drückte sich die Federung des Wagens beträchtlich, und die Post­kutsche bekam starke Schlagseite. Der Dicke war ein lebensfroher Mensch, der auch einen guten Tropfen liebte und mit dem ich manches Glas geleert habe.Im krassen Gegensatz zu dem Dicker­chen stand ein Kasseler Lederfabrikant, der die Schuhmachermeister mit Leder­waren versorgte. Er war über zwei Me­ter groß und erschien bei dieser un­gewöhnlichen Länge in weitem Umhang noch größer. Er hatte im Verhältnis zu seinem Oberkörper ungewöhnlich lange Beine und nahm deshalb nur dann im Postwagen Platz, wenn er darin allein war. Er wußte seine Beine nicht unter­zubringen. Deshalb setzte er sich gern zu mir auf den Bock, wo er sie besser verstauen konnte. Wenn es zutraf, daß der Dicke und der Lange auf einem Post­amt in Korbach sich begegneten, um mit mir zur Opperbach weiterzufahren, dann gab es unter den Postbeamten immer größte Heiterkeit. Besonders fröhlich ging es aber bei der Ankunft in der Opperbach zu.

Der verhängnisvolle Zigeunerwagen 
Ein Ereignis möchte ich schildern, das beinahe ein trauriges Ende genom­men hätte. An einem schönen Sommer­morgen blieb nach meiner Ankunft in der Opperbach der Vöhler Kollege un­gewöhnlich lange aus. Mein mehrmali­ger Posthornruf nach Alraft hinunter blieb unbeantwortet. Ich wartete bis zur letzten Minute. Aber was sah Ich dann: von Alraft herauf kam in vollem Galopp das Vöhler Postpferd allein.  Es war noch mit einem Scherenbaum behangen, der bei dem scharfen Gang des Pferdes immer auf und nieder flog und dadurch das Pferd zu noch immer größerer Eile antrieb. Schaumbedeckt drehte das Pferd vor der Opperbach wie gewohnt ein, als hätte es den Postwagen noch hinter sich. Was konnte geschehen sein? Der vom Postillion Rohleder gefahrene Postwagen war an der bekann­ten Zigeunerecke, an der Grenze unter­halb Alraft, einem Zigeunerwagen begegnet, dessen dunkle Insassen dort ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten. Durch den plötzlichen Anblick des Zigeuner­wagens war das Pferd scheu geworden und mit dem Postwagen geradeaus die fast 20 Meter hohe Böschung hinunter gerannt. Postillion Rohleder war in die Wacholdersträucher geflogen und be­wußtlos liegengeblieben. Der Postwagen hatte sich mehrfach überschlagen und war in der Wiese gelandete. Zum Glück für das Pferd waren Scherenbäume und Stränge gerissen. Das Pferd, hatte die Straße wiedergewonnen und seinen Weg zur Opperbach allein fort­gesetzt. Postillion Rohleder war ohne ernstlichen Schaden davongekommen. Die Zigeuner, die den Unfall verursacht hatten,- hatten sich auf und davon gemacht.

Die pflichtbewußten Postpferde
Ein weiteres Erlebnis hatte ich eines Abends in der Opperbach. Ein Fahr­gast hatte mich veranlaßt, mit ihm in der Wirtsstube einen zu trinken. Hier­bei hatte ich mich wohl etwas länger als gewöhnlich aufgehalten. Währenddessen hatten meine beiden Braunen mehr Pflichteifer gezeigt und sich bei der Abfahrt des Vöhler Wagens selb­ständig in Marsch gesetzt. Ich hatte das Nachsehen und mußte mich ge­hörig in Trab setzen, um die beiden Ausreißer wieder einzuholen. Nach an­strengendem Lauf holte ich den Wagen am Ende des Heidberges ein. Die Sache hätte für mich sehr unangenehm werden können, weil im Postwagen zwei ältere Damen saßen, die aber zu meiner Über­raschung von meinem Fehlen auf dem Bocksitz nichts gemerkt hatten.
(Vergl. Waldeckische Landeszeitun g v. 31. S. 1952)