Geschichte und Geschichten – In der WlZ am 31. 12. 1962: „Was ich am Werbebach erlebte“ und einen Film über das Höringhäuser Werbetal

Was ich am Werbebach sah und erlebte
Jugenderinnerungen von Wilhelm Schmalz, Düsseldorf 

Der Werbebach entspringt bei Strothe, fließt nahe bei meinem Elternhause, der Opperbach, vorbei, durchströmt die schönen Dörfer Alraft und Oberwerbe und ergießt dann — im Niederwerber Vorbecken gestaut — seine Wasser in den Edersee. Schon in frühester Jugend hat die Werbe große Anziehungskraft auf mich ausgeübt. Das Werbetal gehört zu  den schönsten Bachtälern unserer Heimat. Vom Lärm des motorisierten Straßenverkehrs noch verschont, findet man in ihm unberührte Natur und jene Stille, die jeden ruhesuchenden  Menschen beglückt. Ich kenne das Tal und habe an dem schönen Bächlein während meiner Jugendjahre vieles erlebt. Aus der Schule in Alraft führte mein Heimweg oft an seinem Ufer entlang. Das Wasser der Werbe war so klar, daß ich bis auf den Grund schauen und die damals noch so zahlreich vorhandenen Forellen gut beobachten konnte. Eine erste Begegnung mit einer Forelle ist mir unvergessen geblieben: Im Niedrigwasser sah ich eines Tages eine starke Forelle über Kiesgeröll mühsam aufwärts steigen, um nach einem höher gelegenen Tümpel zu gelangen. Mit ihrem Rücken ragte sie vollständig aus dem Wasser, so groß war sie. Ich sprang hinzu, konnte sie auch fassen; doch meine noch schwache und ungeübte Kinderhand vermochte die heftig schlagende Forelle nicht zu halten. Sie entglitt mir und sprang in den Tümpel zurück, aus dem sie gekommen war. Enttäuscht ging ich heim. Das Erlebnis gab den Anlaß, mich fortan im Forellenfang mit der Hand zu üben. Über dem Ufer liegend, war ich anfangs zwar noch ungeschickt, erlangte jedoch bald die erforderliche Gewandtheit. Es war für mich jedesmal. eine Freude, wenn ich eine Forelle mit heimbringen konnte.
20 Forellen im Eimer
Reiche Beute machte ich einmal an der nahen Werbebrücke, wo ich ein Faß Wasser zum Begießen unseres Gartens holen  mußte. Als ich das Werbeufer betrat, sah ich eine Anzahl Forellen mit hellen Bauch nach oben, aber noch lebend im  Wasser treiben. In kurzer Zeit hatte ich etwa 20 Forellen im Eimer und konnte sie nach Hause tragen. Bei der lm Oberlauf des Baches einige Tage hintereinander vorgenommenen Schafwäsche hatte sich der der Wolle anhaftende ätzende Schweiß abgesondert, bei dem niedrigen Wasserstand das  Wasser durchsetzt und die Forellen schwimmunfähig gemacht. 
Regenwürmer für Professor Koenig 
Soweit die Fischerei der Gemeinde Alraft gehörte, war sie in den neunziger Jahren bis zum Ende des Jahres Jahrhunderts dem Oberlehrer und Konrektor, späteren Professor Heinrich Koenig vom Landesgymnasium Korbach zum Jahrespachtpreis von 6 (sechs) Mark überlassen. Er war verpflichtet, zur Erhaltung der Art und eines guten Forellenbestandes jährlich 3 000 Jungbrut einzusetzen. Zur Zeit der Fischwaid kam Professor Koenig, ein großer Petrijünger, fast regelmäßig samstags in mein Elternhaus, wo sein Angelgerät aufbewahrt wurde. Wegen seines freundlichen und stets liebenswürdigen Wesens war er meinen Eltern ein willkommener Gast. Auch wir Kinder sahen ihn gern kommen, denn er beschenkte uns stets mit Süßigkeiten. Wenn er mit seiner Angelrute durch Alraft schritt, kam die Jugend grüßend herbei und wurde erwartungsgemäß mit Schokolade beschenkt. Als ich größer geworden war, hatte ich Professor Koenig die zum Angeln unentbehrlichen Regenwürmer bereit  zu halten, für die ich stets besonders belohnt wurde. Wenn der Herr Profes­sor außer der Regel auch mittwochs kam, mußte ich in seinem Beisein mit einer Hacke unseren Komposthaufen nach Würmern durchwühlen.
 Eisvögel
Nach meiner Schulentlassung hatte alljährlich im Mai dem Professor beim Aussetzen der Jungfische behilflich zu sein und die in einem Blechkasten an­gelieferten Fischchen zum Werbeufer zu tragen. Mit einem von meiner Mutter entliehenen Schöpflöffel entnahm Pro­fessor Koenig dem Behälter jedesmal einige Jungforellen, die er an flacher und geeigneter Stelle dem Wasser übergab.
Als hierbei eines Tages Eisvögel schillernd über die Wasserfläche dahin schwirrten, bezeichnete der Professor sie als die gefährlichsten Räuber seiner Jungforellen und warf die Frage auf, wie diesen Räubern wirksam beizukommen wäre. Das konnte ich ihm nicht sagen. Bald fand ich ja doch eine Lösung, Eisvögel sind Erdbrüter, ich hatte ein Eisvögel Pärchen beim Nestbau an einer Sandbank des Ufers beobachtet, wo das Männchen und das Weibchen in den Mausloch großen Eingang ein – und ausflogen. Nach Anleitung des alten Köhler fertigte ich aus Pferdehaaren eine Schlinge, stellte diese an einem Holzflöckchen genau im Eingang auf und hatte in kurzer Zeit das Pärchen gefangen. Stolz über den Erfolg, übergab ich die Tierchen dem Professor, der im Hartwischen Hause auf der Stechbahn wohnte. Prof Koenig war über das Präsent hocherfreut und ließ die beiden  Eisvögel ausstopfen. Auf die gleiche Weise finde ich noch weitere Eisvögel. Wenn ich sie lebend erwischte, steckte ich sie in ein Kästchen. Zu meinem großen Erstaunen waren sie aber immer wieder nach kürzester Zeit entflogen. Mein Vater hatte ihnen die Freiheit zurückgegeben und verbot mir aufs strengste den weiteren Fang dieser so herrlich gefiederten Vögel. Zuweilen brachte Professor Koenig auch seinen Sohn Oswald mit zur Operbach. Einmal auch dessen Schulfreund Max Waldeck. Beide waren Pennäler des Landesgymnasiums. Zusammen mit Ihnen durchstöberte ich Wald und Flur, wir fingen Schmetterlinge und durchsuchten Bäume und Büsche nach Vogelnestern.
Als ich bei einem letzten Zusammentreffen in der „Waage“ Auf das von mir vor Jahrzehnten gefangene Eisvogelpärchen zu sprechen kam, erfuhr ich von Oswald Koenig, dass er die ausgestopften Vögel von seinem Vater geerbt und noch im Besitz habe. Max Waldeck, der als Ministerialdirektor a. D.  in Ludwigsburg lebt und am 24 Oktober sein 84. Lebensjahr vollendete, traf ich vor dem Ersten Weltkrieg bei meinem Leibgarde-Regiment in Darmstadt, wo er als Reserveoffizier eine Übung abgeleistete.
Forellenessen in der Operbach 
Oft folgten zur Sommerzeit Freunde und Kollegen vom Landesgymnasium der Einladung Professor Koenigs zum Forellenessen in der Opperbach. Es sind mir noch in Erinnerungen: Wiskemann, Angermann, Hartwig, Waldschmidt und Waldeck (alle aus Korbach), aber auch Geheimrat Marx und Sanitätsrat Krüger aus Bad Wildungen zu wie ein Baron von Urrf waren zuweilen mit von der Partie. Bei diesem Treffen ging es immer fröhlich zu. Nach gutem Fischessen, wobei dem Moselweine fleißig zugesprochen wurde, saßen die Teilnehmer an milden Sommerabenden gern vor dem Hause unter der Linde, oft noch nach Einbruch der Dunkelheit beim schwachen Licht der Petroleumlampe. Da wurden alte Erinnerungen ausgetauscht und Kommerslieder gesungen, bis die Pferdekutsche der Posthalterei Frese vorfuhr.
Die Forelle in der Hosentasche 
An einem Vormittag im Sommer zog es mich besonders zur Werbe hin. Als ich so recht in meinem Element war und eine Forelle in der Hand hatte, hörte ich meine Mutter mit ihrer hellen nach mir rufen. Da sich ihr Rufen mehrmals wiederholte, musste ein wichtiger Grund vorliegen. Ich eilte heim.
Als ich dem Werbeufer entstieg, sah ich in nächster Nähe Professor Koenig beim Angeln. Er war entgegen seiner sonstigen Gewohnheit einmal vormittags gekommen. Mit großen Sprüngen, die Forelle in der Hosentasche, rannte ich rein. Ein Glück, dass ich vom Professor König nicht erwischt  worden war. Dann wäre es aus gewesen mit aller Freundlichkeit, die er mir steht entgegen brachte.
Barfuß und mit hochgekrämpelter Hose 
Ein besonderes „Petri Heil“ war mir an einem Sonntagnachmittag beschieden. Ich zählte damals 16 Jahre. Da in Alraft Schulfest war, hielt ich den Tag für besonders geeignet, ungestört einen Fischfang in der Werbe zu unternehmen. Des Schulfestes wegen unterließen die Bauern den ansonsten sonntäglich Feldbegang, und deshalb war eine Störung meines Vorhabens nicht zu befürchten. Barfuß und mit hochgekrämpelter Hose ging ich in der Werbe aufwärts. Der niedrige Wasserstand kam mir zustatten. Nach einiger Zeit konnte ich 11 gute Forellen heimtragen und dann das Schulfest doch noch besuchen. 

„Mein Erlebnis gab den Anlaß, mich fortan im Forellenfang mi der Hand zu üben“.
(Zeichnung Willi Tillmans, Kleinern)

Im Anschluß ein kleiner Film über das Werbetal in Höringhausen von Dieter Bark – ins Internet gestellt vom NABU Korbach.

Schreibe einen Kommentar