XI….„Demokratie ist etwas Wertvolles“
Der 17-jährige Hanibal Semere Negasi aus Eritrea ist froh darüber, in Deutschland frei leben zu können.
Das Thema
Vor zweieinhalb Jahren flüchtete Hanibal Semere Negasi aus Eritrea hach Höringhausen ins Haus Madiba. Unserer Zeitung schilderte er damals die lebensgefährliche Flucht – unter anderem wurden er und 500 weitere Menschen von der italienischen Marine aus einem Flüchtlingsboot gerettet. Wie es ihm heute geht, erzählt der 17-Jährige bei einem erneuten Besuch.
Von Philipp Daum
HÖRINGHAUSEN. Er war zwar schon einmal in einem Stadion – allerdings nur außerhalb des Spielbetriebs der Fußball-Bundesliga. „Als wir vom Haus Madiba eine Ferienfreizeit nach Berlin unternahmen, haben wir uns dort natürlich auch das Olympiastadion angeschaut“, berichtet Hanibal Semere Negasi, der ein riesiger Fußballfan ist. Einer seiner größten Wünsche ist es, einmal ein Spiel seines Lieblingsvereins Borussia Dortmund live zu sehen. „Das wäre klasse“, sagt er.
Es ist Montagnachmittag in dieser Woche. Hanibal Semere Negasi sitzt entspannt im Wohnzimmer des Hauses Madiba in Höringhausen, in dem er seit August 2014 zusammen mit anderen Flüchtlingen lebt. Der 17-Jährige redet nicht nur gerne über Fußball, sondern auch über sein neues Leben in Deutschland, das sich weit weg von seinem Heimatland Eritrea abspielt, aus dem er vor gut zweieinhalb Jahren geflüchtet ist. „Die Menschen in Deutschland, vor allem hier auf dem Land, sind sehr offen, höflich und machen einem die Integration leicht“, sagt er.
Das habe er vor allem gespürt, als er einige Monate beim TSV Korbach in der B-Jugend Fußball gespielt hat. „Ich hatte damals noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Trotzdem haben mich die Teamkollegen wunderbar aufgenommen“, erzählt der 17-Jährige, der seine Schullaufbahn in der Region zunächst an der Mittelpunktschule in Sachsenhausen begann und mittlerweile die zwölfte Klasse am Gymnasium „Christian-Rauch-Schule“ in Bad Arolsen besucht. Dort interessiert er sich vor allem für das Fach Politik und Wirtschaft. „Die Demokratie in Deutschland ist etwas Wertvolles“, sagt er. „Ich fühle mich hier frei, kann mein Leben so gestalten, wie ich es möchte. In Eritrea war das nicht möglich, dieses Land wird diktatorisch regiert.“
Gerne mit Rad unterwegs
Hanibal Semere Negasi berichtet, wie er beim politischen Aschermittwoch in Volkmarsen einmal Angela Merkel aus nächster Nähe gesehen hat. „Ich war wohl der einzige Afrikaner dort“, sagt er mit einem Lächeln. Es habe ihm Freude bereitet, bei solch einer großen Veranstaltung dabei zu sein.
Nach dem Abitur will der 17-Jährige studieren. In welche Richtung das Studium gehen soll, verrät er noch nicht. „Ganz sicher bin ich mir noch nicht“, sagt er. In den nächsten Monaten stehe sowieso erst einmal die Schule im Fokus. „Bis zum Nachmittag haben wir Unterricht, danach müssen wir noch einiges für die Schule machen“, sagt Hanibal Semere Negasi. Da bleibe nicht viel Zeit für Freizeit.
„Die habe ich eher am Wochenende. Dann fahre ich mit Freunden nach Kassel oder treffe mich mit ihnen in Bad Arolsen. Außerdem bin ich in der Region gerne mit dem Rad unterwegs“, berichtet der Eritreer, dessen Eltern und Schwester auch geflüchtet sind und im Sudan Unterschlupf gefunden haben. „Ich vermisse sie sehr und versuche, stets Kontakt zu halten“, sagt er.
Orthodoxer Christ
Hanibal Semere Negasi ist ein orthodoxer Christ. Seine Religion ist ihm sehr wichtig. „Ein Priester, der aus Eritrea stammt und nun ebenfalls in Deutschland lebt, kommt mindestens einmal im Monat nach Bad Arolsen. Dort wird in einer Gruppe von 25 bis 30 Menschen gebetet. Wir unterhalten uns zudem über Religion und Werte“, sagt der 17-Jährige, der glücklich darüber ist, in Deutschland nicht nur seine Religion ausleben, sondern auch sein Leben frei gestalten zu können.
Ärger über Aufenthaltsstatus
Die Wohngruppe im Haus Madiba in Höringhausen ist ein Angebot für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Sie bietet speziell Jungen von 14 bis 18 Jahren aus unterschiedlichen Kulturkreisen ein entwicklungs- fördemdes Zuhause. Erziehungsleiter in dem Haus ist Bernhard Fladung, der sich zusammen mit seinem Team natürlich auch um die Zukunft von Hanibal Semere Negasi kümmert. „Hanibal befindet sich derzeit unter subsidärem Schutz.
Das bedeutet, dass er nicht abgeschoben werden darf“, sagt Fladung. Er betont im gleichen Atemzug aber auch, dass dieser Status, der jährlich überprüft werde, unbefriedigend für den 17-Jährigen sei. „Es ist für uns nicht nach
vollziehbar, dass Hanibal immer noch nicht den Status eines Flüchtlings hat, der ihm einen Aufenthalt von mindestens drei Jahren sichert. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat eine solche Entscheidung noch nicht getroffen, was wir nicht verstehen können. Wir werden daher nun auch schauen, welche rechtlichen Schritte wir unternehmen können, damit sich Hanibals Status ändert“, sagt der Erziehungsleiter, (dau)
Hintergrund
Jugend flüchtet in Scharen
Eritrea ist ein diktatorisch geführtes Land, aus dem vor allem die Jugend in Scharen flüchtet. Sie lehnt die Zwangsarbeit für das Militär und die Regierung konsequent ab. Dahinter verbirgt sich nach einem UN-Bericht nichts anderes als ein Nationaldienst, den in Eritrea derzeit bis zu 400 000 Rekruten im Alter 18 bis 50 Jahren leisten müssen. Von ihrem Sold lässt sich allerdings keine Familie ernähren. Sie sind gezwungen, dort zu leben, wo die Regierung sie hinschickt, und das zu tun, was ihre Befehlshaber ihnen auftragen. Wer desertiert, wird in Straflagern interniert. Außerdem gehören laut UN-Bericht in Eritrea Tötungen, willkürliche Verhaftungen, Folter und Vergewaltigungen zum Alltag, (dau)
Vor dem Haus Madiba in Höringhausen: Hanibal Semere Negasi (17) aus Eritrea lebt hier mit anderen Asylsuchenden.
Der Schüler will nach bestandenem Abitur ein Studium aufnehmen. Fotos: Daum
Immer am Ball: Flüchtling Hanibal Semere Negasi spielt mit Gruppenleiter Andre Mohr Tischfußball.