2024 WLZ 08. 11. MEHR ZUM THEMA Aus für Ampel-Koalition im Bund – Stimmen aus dem Landkreis„Alle haben Fehler gemacht“
Aus und vorbei: Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP ist Geschichte. Das Bild zeigt den von Kanzler Olaf Scholz (Mitte) entlassenen Finanzminister Christian Lindner (links) sowie Wirtschaftsminister Robert Habeck – das Bild entstand zum Ende der Halbzeit-Klausur des Bundeskabinetts vor Schloss Meseberg im August 2023. Fotos: Kay Nietfeld/DPA, PR
Waldeck-Frankenberg – Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP ist gescheitert. Wir fragten bei führenden Politikern in Waldeck-Frankenberg nach, wie sie das Aus der Ampel bewerten.
SPD
„Die FDP hat ja schon länger vom Herbst der Entscheidungen gesprochen und die anderen Ampel-Partner mit ihren kontroversen Haltungen provoziert. Ich denke, es hat sich bei SPD und Grünen deshalb viel Resignation breitgemacht. Das Ampel-Aus kam daher nicht unbedingt überraschend“, sagt Latif Hamamiyeh Al-Homssi, Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Waldeck-Frankenberg. Der Rauswurf des Finanzministers Christian Lindner sei erwartbar gewesen. „Ich kann unseren Kanzler verstehen. Er hat immer wieder versucht, Kompromisse zu finden. Aber wenn diese an der Grundhaltung einer einzigen Person scheitern, ist dies nicht im Sinne der Bundesrepublik. Natürlich haben alle drei Parteien in der Ampel das Ende der Koalition zu verantworten – die FDP hat aber maßgeblich zum Bruch beigetragen“, so Al-Homssi.
Dass Volker Wissing die FDP verlasse und Verkehrsminister bleibe, zeige, dass längst nicht alle in der Ampel das Koalitions-Aus wollten. „Die FDP hat ein Christian-Lindner-Problem“, ist sich der SPD-Unterbezirksvorsitzende sicher. Kritik übt er obendrein an Friedrich Merz und der CDU: „Dass Merz erneut die ausgestreckte Hand verweigert und von Olaf Scholz verlangt, sofort die Vertrauensfrage zu stellen, macht deutlich, dass die CDU den Ernst der Lage nicht erkennt. Dass die Union noch nicht einmal in dieser Zeit bereit für eine Zusammenarbeit ist, um vor Weihnachten noch wichtige politische Entscheidungen zu treffen, ist verantwortungslos“, sagt Al-Homssi.
FDP
„Alle Regierungsparteien haben Fehler gemacht, aber gleichzeitig in den letzten Jahren auch immer um Kompromisse gerungen und sie auch erreicht. Die Ampel war so lange einen Versuch wert, bis sich SPD und Grüne offenbar einig wurden, eine versäumte Wirtschaftspolitik mit Schulden und Subventionen kaschieren zu wollen. Dass Christian Lindner hier nicht mitmacht und einen geordneten Weg zu Neuwahlen vorschlägt, finde ich konsequent“, sagt der FDP-Kreisvorsitzende Jochen Rube.
Dass der Kanzler einseitig die FDP verantwortlich machen wolle, verstelle den Blick auf eigentliche Ursachen: Unter anderem sei ein Wirtschaftsminister, der während einer Rezession in einer Wirtschaftsnation orientierungslose Wirtschaftspolitik mache, nicht tragbar.
„Scholz hat zu lange keine Führung gezeigt – jetzt im gebündelten ‚Machtwort’ so emotional zu werden, ist alles andere als staatsmännisch. Unser Fokus als FDP liegt weiter auf den Forderungen zur pragmatischen Wirtschaftswende, die von vielen Experten unterstützt werden“, sagt Jochen Rube. Er selbst habe sehr lange das Erreichte in der Ampel betont und Kompromisse verteidigt. „Zuletzt ging es aber erkennbar nicht mehr weiter, weil die Kommunikation komplett erlegen war und vor allem die grundlegend verschiedenen Auffassungen zur Schuldenbremse nicht vereinbar waren“, sagt der FDP-Kreisvorsitzende.
Christian Lindner hätte mit einer Umgehung gegen das Grundgesetz verstoßen – ihm unter dem Vorwand der finanziellen Ukraine-Unterstützung das als Ultimatum zu stellen, habe eine unauflösbare Situation für alle geschaffen. „Dass Volker Wissing weiter am Ministeramt hängt, ist seine Entscheidung und mag mit seinem Ressort zusammenhängen – seine Staatssekretäre allerdings haben bereits gekündigt und damit ein klares Zeichen gesetzt.“
Grüne
„Aus meiner Sicht hat sich das Ende der Koalition durch die Maximalforderungen im Positionspapier von Bundesfinanzminister Christian Lindner schon abgezeichnet“, sagt Daniel May, Kreisvorsitzender der Grünen. „Für mich entstand der Eindruck, dass man sich nicht einigen wollte. Allerdings war der Zeitpunkt am Tag der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten denkbar ungünstig. Gerade jetzt hätte man sich in der Ampel-Koalition noch einmal zusammenraufen müssen“, sagt May.
Wirtschaftsminister Robert Habeck habe noch Entgegenkommen gezeigt, indem er Milliarden Euro aus dem Transformations-Fonds angeboten habe. „Nach meiner Überzeugung durfte die Koalition nicht scheitern. Unter Demokraten sollte es – auf lokaler wie auf Bundesebene – immer möglich sein, dass man durch Kompromisse zu einer Einigung kommt.“
Es stünden gerade jetzt viele wichtige Entscheidungen an. Zum Beispiel das Krankenhaus-Reformgesetz mit Auswirkungen auf das Kreiskrankenhaus in Frankenberg oder der Digitalpakt II im Bereich Schule und Bildung.
May: „Auch die Opposition hat keine Mehrheit. Für eine begrenzte Zeit kommt es jetzt darauf an, in der Sache in einen Austausch zu treten. Mal schauen, ob es dazu Bereitschaft gibt. Auf kommunaler Ebene wäre das ganz normal. Von den in der Bundespolitik handelnden Personen würde ich das auch erwarten.“ PHILIPP DAUM, THOMAS HOFFMEISTER