2024 WLZ 27. 06. Netzer protestieren gegen Umspannwerk

Petition und Plakate als Ergebnis einer öffentlichen Ortsbeiratssitzung

VON JAKOB BÜCHSENSCHÜTZ

Für eine sichere Stromversorgung: Tennet hat seine Überlandleitungen in der Region ertüchtigt (hier am Giflitzer Berg). Der Konzern plant nun ein großes Umspannwerk. Foto: Schuldt

Netze – Ärger gibt es in Netze. Bewohner des Dorfes wehren sich gegen den geplanten Bau eines Umspannwerks in der Umgebung durch die Firma Tennet. Am Wochenende haben Einwohner eine Online-Petition gestartet. Sie soll inzwischen rund 160 Mal unterzeichnet worden sein. Außerdem haben Einwohner des Dorfes Transparente an den Zufahrtsstraßen und einigen Häusern aufgehängt, um gegen den Bau zu protestieren. Der Widerstand hatte sich nach einer öffentlichen Ortsbeiratssitzung in der vorigen Woche formiert, in der das Bauvorhaben auf der Tagesordnung stand.

Die Firma Tennet untersucht nach eigenen Angaben drei mögliche Standorte auf umliegenden Wiesen und Feldern bei Netze, um dort ein Umspannwerk mit Phasenschieber-Transformator (PST) zu errichten. Das Vorhaben sei nötig, um das Umspannwerk „Waldeck“ bei Hemfurth zu entlasten. Neben den Flächen bei Netze ziehe man auch Grundstücke bei Affoldern und Sachsenhausen in Betracht.

„Ich habe von den Plänen erst im Mai erfahren“, erzählte Ortsvorsteher Dirk Möller bei der Sitzung. Detailliertere Informationen stammten aus einem Treffen am 11. Juni mit Dr. Marco Bräuer, einem regionalen Koordinator von Tennet. Dabei sei herausgekommen, dass der Bau des Umspannwerks seit 2019 in Planung war.

Die Besucher der Ortsbeiratssitzung reagierten empört. Etliche Fragen wurden an den Ortsbeirat und Phillip Hankel aus dem Waldecker Magistrat gerichtet. Auf die Frage, warum die Stadt Waldeck die betroffenen Orte nicht sofort informiert habe, reagierte Hankel beschwichtigend. „Wir wussten nur, dass die Pläne existieren, kannten keine Details“, sagte er.

Auch über die Verschwiegenheit der Genehmigungsbehörden wurde gerätselt. Immerhin müssten das Regierungspräsidium Kassel oder die hessische Landesgesellschaft die Baupläne zunächst absegnen. Auf WLZ-Nachfrage bestätigten jedoch Tennet und das Regierungspräsidium, dass der Konzern noch keine Anfrage ans RP gestellt habe. Laut Tennet geschehe dies erst, wenn ein Standort ausgesucht sei.

Geht es nach den protestierenden Netzern, sollte das Umspannwerk nicht in die direkte Nachbarschaft des Dorfes kommen. Sie befürchten, es verschandele die Landschaft. Landwirte kritisierten, dass eine Menge an hochwertigen Ackerboden für den Bau weichen müsse.

Sorgen bereitet Grundstückseigentümern vor allem eine mögliche Enteignung. „Die Möglichkeit gibt es, aber Herr Bräuer versicherte mir, dass Tennet nicht plant, jemanden zu enteignen“, berichtete Ortsvorsteher Möller.

Einige Netzer wiesen auf Salamander-Vorkommen in und um Netze herum hin. Diese seien geschützt und müssten umgesiedelt werden.

Schnell machten Bürger mit Bedenken unter sich aus: Egal aus welchem Grund, gegen das Projekt müsse vorgegangen werden. Erste Pläne für Protestaktionen wurden schon während der Ortsbeiratssitzung gemacht. Auch die Transparente und Unterschriftenaktionen wurden als mögliche Mittel bereits dort genannt. Einzelne Bürger forderten sogar, Bräuer an seinem Wohnort aufzusuchen, um dort Druck auf ihn auszuüben.

„Ich wollte Ruhe reinbringen“

Jürgen Vollbracht Bürgermeister

Ich wollte Ruhe reinbringen“, sagt Bürgermeister Jürgen Vollbracht auf WLZ-Anfrage. Sogar Mitglieder seiner Familie seien zum Thema Umspannwerk bedrängt worden. So begründet der Verwaltungschef seine Facebook-Posts vom Wochenende zu den Netzer Protesten. Einer lautet: „Ich kann nur jedem Grundstückseigentümer raten, nicht zu verkaufen, denn nur so kann das Umspannwerk verhindert werden.“ Wichtig sei, dass auch das Land Hessen keine Verkaufsbereitschaft zeige.

Er habe privat gepostet, nimmt Vollbracht für sich in Anspruch. Die Waldecker SPD kritisiert sein Vorgehen in einer aktuellen Pressemitteilung. Denn den Abgeordneten lägen bislang keine Informationen zum Tennet-Projekt vor, kritisieren die Sozialdemokraten. Diese Informationen gibt es im Detail erst in einer öffentlichen Sitzung des Planungsausschusses der Stadtverordnetenversammlung am Dienstag, 2. Juli, ab 19 Uhr, in der Sachsenhäuser Stadthalle.

„Die öffentlichen Äußerungen und Aufforderungen in den sozialen Medien greifen der parlamentarischen Debatte vor und schaffen Tatsachen bei nicht gleicher Informationslage“, schreiben die Sozialdemokraten. Gerade bei so wichtigen Fragen wie Infrastruktur und Energieversorgung „sollten wir Sachlichkeit und breit getragene Lösungen anstreben. Hierzu wünschen wir eine bessere Mitnahme und Kommunikation im kommunalpolitischen Prozess und keine Alleingänge in den sozialen Medien“, ergänzt die SPD.

„Wir alle wollen Sicherheit im Stromnetz“, räumt der Bürgermeister ein. Er gesteht auf Nachfrage auch zu, dass die Strategie der Tennet den Interessen ländlicher Kommunen eher entgegenkomme: Eine bestehende Stromtrasse zu ertüchtigen, bedeute im Grundsatz geringere Eingriffe in die Landschaft und einen geringeren Genehmigungsaufwand, als eine neue Trasse zu bauen, wie es beispielsweise der Netzbetreiber Amprion plant.

In der aufgeheizten Stimmung in und um Netze plädiert Vollbracht dafür, „erst die Sachlage zu klären“ und sieht die Tennet in der Pflicht. „Wir wissen nicht, ob das Umspannwerk in dieser Größe von 25 Hektar tatsächlich notwendig ist, oder ob es nicht auch kleiner ausfallen kann“, meint er.

In Bezug auf den Standort seien noch zu viele Fragen offen. „Nach meinen Informationen befasst sich Tennet mit fünf Suchräumen. Drei liegen bei Netze, einer bei Sachsenhausen und einer in Edertal“, erklärt Vollbracht.

Unruhe löst nach seinen Angaben in dem Zusammenhang die Tatsache aus, dass mehrere Landwirte aus der Netzer Umgebung von Kaufanfragen des Netzbetreibers berichtet hätten. Der Ortsbeirat von Netze veröffentlichte auf Facebook eine Abbildung mit den drei mutmaßlichen Standorten östlich bis nördlich des Dorfes.

Die benötigten Grundstücke nicht zu verkaufen, ist aus Sicht Vollbrachts der entscheidende Hebel zum Verhindern des Projekts, „wobei jeder Eigentümer diese Entscheidung natürlich frei treffen kann.“ Denn angesichts der Gesetzeslage könnte es sich bei dem Projekt um ein „privilegiertes Bauvorhaben im Außenbereich handeln.“ In dem Fall müsse nicht einmal das Regierungspräsidium Genehmigung gefragt werden, schließt Vollbracht.

„Die CDU-Fraktion solidarisiert sich mit den protestierenden Netzer Bürgern“, sagt Vorsitzender Michael Keller. Er betrachtet das Vorgehen von Tennet als hauptverantwortlich für die Stimmung im Ort. Anfang Mai seien die Pläne, die seit Jahren bestünden, bekannt geworden durch Verkaufsanfragen des Konzerns an Grundstückseigentümer. In der einberufenen öffentlichen Sitzung des Ortsbeirates mit Tennet-Vertretern vor einigen Wochen hätten sich alle Stadtverordneten informieren können, weist Keller die SPD-Kritik zurück. Das Auftreten von Tennet bei der Gelegenheit empfand Keller als arrogant: „Umspannwerke sind nötig, doch wir sind sicher, dass es Standorte mit weniger großen Nachteilen gibt.“ su ArchivFoto: Eva-Maria Schmidt/pr