2024 WLZ 15. 05. Zwei Generationen Seelsorger mit Schere
Friseursalon Jeschonnek in Höringhausen schließt nach 75 Jahren
Abschied mit Wehmut: Jörg und Regina Jeschonnek schließen heute ihren Friseursalon in Höringhausen.
Waldeck-Höringhausen – Wenn Regina und Jörg Jeschonnek heute Abend den Schlüssel im Schloss ihrer Ladentür umdrehen, dann schließt der Friseursalon Jeschonnek für immer – auf den Tag genau 75 Jahre nach der Eröffnung.
Nicht am jetzigen Standort in der Hauptstraße, sondern im Birkenweg hatte Gerhard Jeschonnek 1949 begonnen. Der Salon war acht Tage älter als die Bundesrepublik Deutschland. Jeschonnek kam nach der Kriegsgefangenschaft ins Waldecker Land, weil seine Heimat Ostpreußen nun zu Polen gehörte. Bei Friseur Ochs in Korbach fand er Arbeit, in Höringhausen mit seiner Frau Herta die Liebe und ein Zuhause. Der Familienbetrieb erlebte gute Zeiten, aber auch Tiefschläge wie den frühen Krebstod des Gründers mit nur 61 Jahren in 1982.
Fünf Jahre zuvor hatte der Senior eine Stelle als Lagerist auf der Conti angenommen und den Salon weitgehend an seinen Sohn Jörg übergeben, der die Meisterprüfung abgelegt hatte. „Wir haben unser Wohnhaus direkt neben das Haus meiner Eltern gebaut und im Erdgeschoss den Salon vergrößert.“ Herta Jeschonnek wurde zur Seele des Betriebs und blieb es bis kurz vor ihrem Tod 2003. Schwiegertochter Regina, gelernte Steuerfachgehilfin, stieg 1980 nach zweijähriger Ausbildung in den Betrieb ein. „Ich habe es nie bereut, der Umgang mit Menschen ist für mich so viel schöner als der Umgang mit Akten.“
Genau darin liege der Reiz des Berufs. „Natürlich steht und fällt alles mit dem perfekten Schnitt, das ist das A und O. Aber es geht nicht ums Haareschneiden allein“, erklärt Jeschonnek, „man braucht Menschenkenntnis und Empathie“. Die Bandbreite an Themen und Lebenswelten sei riesig: „Der eine ist ein Autofreak, der andere züchtet Hühner, der nächste hat als Soldat im Auslandseinsatz Schreckliches erlebt. Manchmal sind wir Seelsorger mit Schere.“ Diesen Beruf übten zwei Generationen mit Herzblut aus. „Meine Schwiegereltern waren richtige Workaholics, die haben Heiligabend noch Dauerwellen gelegt, als die Leute schon unterwegs in die Kirche waren“, erinnert sich die Friseurin, „oder sonntags am frühen Morgen frisiert, damit die Damen vor besonderen Feiern nicht mehr auf dem Haar liegen müssen“. red
Ausgebildet im Friseurhandwerk
Wie sehr die Jeschonneks für den Beruf brennen, das hat der zweite Corona-Lockdown Ende 2020 gezeigt. „Unser Anmeldebuch war voll für die beiden Wochen bis Weihnachten, und uns blieb nach der Ankündigung des Lockdowns nur noch ein einziger Arbeitstag.“ So wurden zwölf Stunden durchgearbeitet. Noch nicht einmal für’s Essen war Zeit. Eine aufmerksame Besucherin brachte spätabends eine selbstgekochte Bolognese vorbei.
2020 übernahm Thomas Schmidt Teile des Salons und machte sich mit einer Praxis für Physiotherapie selbstständig. Dass Sohn Lars Jeschonnek, Jahrgang 1981, den Familienbetrieb nicht übernimmt, war früh klar. Er arbeitet in Berlin als Konzeptioner in einer Beratungsagentur für politische Kommunikation. Als Jugendlicher hatte er an Samstagen die Lotto-Annahmestelle betreut, die zwischen 1992 und 2019 im Kassenbereich stand.
Der Salon hatte in den 75 Jahren fünf fest angestellte Mitarbeiterinnen und acht Auszubildende. Die treueste war Carmen Günther, die 1982 als Auszubildende anfing und bis 2020 blieb. Zwischen 2007 und 2021 betrieb Familie auch einen Salon in der Flechtdorfer Straße in Korbach.
Vermissen werden die Ruheständler „das gute Gefühl, wenn wir den Wunsch genau getroffen haben“, erklärt Regina Jeschonnek. Genießen wollen sie ihre ungewohnte Freizeit für Kurzurlaube oder einem Abstecher nach Berlin, um Enkel Kalle aufwachsen zu sehen. Nach der Geschäftsaufgabe wird der Salon zu Erweiterung der Physiotherapiepraxis umgebaut. Doch wenn heute Abend das letzte Haar gefallen ist, wird Höringhausen um eine Institution ärmer sein. red