2024 WLZ 11. 01. Lautstark gegen die Ampel

1700 Bauern demonstrieren vor dem Regierungspräsidium
VON ULRIKE PFLÜGER-SCHERB

Kassel 1700 Menschen mit rund 900 Fahrzeugen haben am Mittwochvormittag bei eisiger Kälte an der Demonstration der Landwirte vor dem Regierungspräsidium Kassel teilgenommen. Zwischen Weinberg und Weserspitze parkten zwischen 10 Uhr und 13 Uhr Traktoren und andere schwere Fahrzeuge. Dadurch kam es zu erheblichen Verkehrsbehinderungen in der Kasseler Innenstadt. Außer Verkehrsproblemen habe es bei der Demo aber keine Zwischenfälle gegeben, so Polizeisprecher Matthais Mänz.
Bäuerinnen und Bauern sowie Handwerker aus ganz Nordhessen, die eng mit der Landwirtschaft verbunden sind, waren bei einer Sternfahrt hupend nach Kassel gekommen, um gegen die Pläne der Bundesregierung, die Steuervergünstigung für Agrardiesel auslaufen zu lassen, zu protestieren.
Es wurde aber auch schnell in Kassel deutlich, dass es den Landwirten nicht nur um Agrardiesel geht. Die ohne Vorankündigung ausgesprochenen Kürzungen seien der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen oder sogar zum Platzen gebracht habe, sagte Norbert Klapp, Vorsitzender des Regionalbauernverbandes. Der Protest richte sich auch gegen die vielen staatlichen Auflagen, die die Landwirte erfüllen müssten. Viele Politiker betrachteten den ländlichen Raum nur durch die städtische Brille, so Klapp. „Für viele taugt der ländliche Raum nur als Projektionsfläche für umweltbewegte Fantasien.“ Dafür gab es viel Applaus.
Mit Buh-Rufen wurde hingegen der SPD-Bundestagsabgeordneten Timon Gremmels bedacht, der als einziger Vertreter einer der drei Regierungsfraktionen auf der Bühne stand. „Wir dürfen uns nicht vom Acker machen“, sagte Gremmels. Er suche den Dialog mit den Landwirten. Bei den Haushaltsberatungen wolle er ihre Anliegen einbringen und nach Alternativen suchen.
Einige Bäuerinnen und Bauern machten vor dem RP deutlich, dass sie nichts mit rechten Gruppierungen zu tun haben wollen, die in jüngster Zeit bei den Bauern-Protesten aufgetaucht sind. „Rechte Rüben unterpflügen“ war auf Plakaten zu lesen. Foto: andreas fischer

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Norbert Klapp Regionalbauernverband

BAUERNPROTESTE 1700 Landwirte vor dem Regierungspräsidium

Nur Gremmels stellt sich dem Protest

VON ULRIKE PFLÜGER-SCHERB

Stellt sich den teils wütenden Nachfragen der Besucher: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Timon Gremmels (rechts, roter Schal) erntete bei der Kundgebung Buhrufe. Im Anschluss lud er dennoch zur Diskussion ein. Foto: Daria Neu

Kassel – „Ich bin nicht aus Zucker. Ich stelle mich der Kritik“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Timon Gremmels, als er gestern Vormittag bei seiner kurzen Rede auf der Bühne vor dem Regierungspräsidium Kassel ausgebuht worden ist.

Nur wenige Demonstranten wurden allerdings ausfallend. Ein Mann schrie „Lügner“ und „Penner“. Eine Frau bezeichnete es als „Lachnummer“, als der Abgeordnete sagte, dass er den Dialog mit den Landwirten suchte.

Ansonsten blieb es bei der Kundgebung, die aufgrund der Minustemperaturen auch relativ kurz ausfiel, sehr gesittet.

Es waren keine Plakate von rechten Gruppierungen zu sehen. Im Gegenteil. Unter den 1700 Teilnehmern waren vornehmlich jüngere Leute, die sich klar gegen die rechte Szene abgrenzten. Auf dem Schild von Landwirt Markus Müller aus Calden war zum Beispiel „Rechte Rüben unterpflügen“ zu lesen. „Unsere Äcker sind bunt, nicht braun“ oder „Bäuerinnen gegen Rechtsextreme“ stand auf den Schildern.

Landwirte aus Waldeck-Frankenberg hatten sich an den Sammelpunkten Istha und Wabern der Sternfahrt nach Kassel angeschlossen. Das berichtete Heiko Kieweg, Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Waldeck, der ebenfalls mit seinem Schlepper zur Demonstration unterwegs war. Wie viele Landwirte aus dem Landkreis sich beteiligten, ist unklar. Kieweg geht von etwa 100 bis 120 aus.

Der Protest der Landwirtinnen und Landwirte sei laut und eindrucksvoll gewesen, so Regierungspräsident Mark Weinmeister, der ebenfalls Worte an die Demonstranten richtete. Nur, wenn er beleidigend oder verletzend werde, habe der Protest sein Ziel verfehlt. „Davon war heute in Kassel nach meinem Eindruck zum Glück keine Spur. Ich bin mir sicher, dass der heutige Protest auch in Wiesbaden und vor allem in Berlin gehört wird.“

Zum Auftakt der Kundgebung hatte Norbert Klapp, Vorsitzender des Regionalbauernverbands, geredet. Er richtete deutliche Worte an die Politiker. Aufgrund der vielen Auflagen (ob nun zum Beispiel die Ausweitung der Antibiotikadatenbank, die Führung eines Weidetagebuchs oder die Tierhaltungskennzeichnungsverordnung) könnten viele Landwirte abends nicht mehr einschlafen, weil sie nicht wüssten, wie sie das alles am nächsten Tag packen sollen. Die Kritik von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) und Ministerpräsident Stephan Weil (Niedersachsen) an den Sparbeschlüssen der Bundesregierung würden Anlass zur Hoffnung geben. Um zu unterstreichen, wie sehr die Bauern auf günstiges Agrardiesel angewiesen sind, fuhr ein Fuhrwerk mit zwei Pferden vor.

„Links Lotte, rechts Liesel, so geht Ackern ohne Diesel“, kommentierte Klapp. Bis die Sache mit dem Diesel nicht vom Tisch sei, würden die Landwirte weiter protestieren, kündigte zum Abschluss Erich Schaumburg, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Kassel, an. Dafür gab es großen Beifall.

 „Bäuerlicher Protest ohne Hass und Hetze“

Stellungnahme der Upländer Bauernmolkerei und der Milcherzeugergemeinschaft Hessen

Willingen-Usseln – Die Upländer Bauernmolkerei und die Milcherzeugergemeinschaft Hessen haben in einer Pressemitteilung eine gemeinsame Stellungnahme zu den Bauern-Protesten abgegeben. Darin erklären sie:
„Der Frust und der Zorn von Bäuerinnen und Bauern hat sich über viele Jahre aufgebaut, auch schon unter den Vorgängerregierungen der Ampel. Es gibt viele Gründe dafür: Oft keine fairen Preise für die erzeugten Lebensmittel, überbordende Bürokratie, fehlende gesellschaftliche Anerkennung bei hoher Arbeitsbelastung sind nur einige Beispiele. Den wirtschaftlichen und persönlichen Druck haben viele nicht ausgehalten und in den vergangenen Jahren ihre Betriebe dichtgemacht. Die jetzt sehr kurzfristig angekündigten Streichungen der Subventionen haben das Fass zum Überlaufen gebracht.“
Weiter heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme: „Wir begrüßen die angekündigte Rücknahme eines Teils der Streichungen. Wir halten es aber für falsch, im Sektor Landwirtschaft in den kommenden Jahren eine halbe Milliarde Euro jährlich einzusparen, da dort dringend Geld für einen Umbau in eine sozial verträglichere und enkeltaugliche Landwirtschaft benötigt wird. Die entsprechenden Vorschläge von verschiedenen Kommissionen und Organisationen liegen seit Jahren auf dem Tisch und werden nicht umgesetzt.“
Außerdem wird erklärt: „Seit 2011 nehmen wir an der jährlichen Demo ,Wir haben es satt‘ in Berlin teil. Dort gehen wir auf die Straße für den Erhalt einer bäuerlichen, nachhaltigen und gentechnikfreien Landwirtschaft. Auch am 20. Januar werden wir dort wieder dabei sein. Wir setzen uns ein für mehr Arten- und Klimaschutz – dazu gehören auch Maßnahmen gegen Hochwasser –, für mehr Tierwohl, faire Erzeugerpreise und den Erhalt bäuerlicher Betriebe. Dazu brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen und faire Preise, die das Überleben der Höfe sichern. Dann ist auch der Verzicht auf Subventionen möglich.“
Betont wird auch: „Bei allem Zorn und aller Enttäuschung über eine langjährige verfehlte Agrarpolitik distanzieren wir uns von Umsturzfantasien, jeder Art von Gewalt und einer Vereinnahmung durch verschwörungstheoretische und rechte Gruppen, die das Aufbegehren der Bäuerinnen und Bauern für ihre eigenen Ziele missbrauchen. Wir setzen uns dafür ein: Landwirtschaft ist bunt, nicht braun!“  red