2024 WLZ 04. 07. Kein Weg am Umspannwerk vorbei

Tennet informiert Waldecker Parlamentsausschüsse vor großem Publikum

VON MATTHIAS SCHULDT

In der weiträumigen Feldflur zwischen Netze und Waldeck soll das Umspannwerk entstehen. Die Netzer protestieren. Fotos: Schuldt

Waldeck „Was hat die Stadt Waldeck vom neuen Umspannwerk? Vergünstigte Stromtarife für die Bürger?“, fragte Netzes Ortsvorsteher Dirk Möller das Team von Tennet vor vollen Publikumsreihen in der Sachsenhäuser Stadthalle. „Versorgungssicherheit“, antwortete der Regionale Koordinator Dr. Marco Bräuer. Er erntete gemeinschaftliches, ironisches Gelächter der vielen Zuschauer, die am Dienstagabend die Sitzung der Parlamentsausschüsse verfolgten. Diese ließen sich vom Netzbetreiber über das geplante Großprojekt bei Netze informieren.
„Schätzen Sie Versorgungssicherheit bitte nicht gering, auch wenn diese uns selbstverständlich erscheint – was ja gut ist“, hatte Bräuer den Stadtverordneten der Gremien nahegelegt. Die Region erzeuge steigende Mengen an Strom aus Windkraft und Photovoltaik, „doch bei einer ‘Dunkelflaute’, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, muss die Region Strom importieren“, erläuterte er.
Günstige Stromtarife könne Tennet nicht gewähren, „weil wir keinen Strom erzeugen.“ Die Rolle des Netzbetreibers sei zu vergleichen mit der Rolle der Bundesautobahn-Gesellschaft im deutschen Straßennetz, meinte Bräuer. Gewerbesteuer zahle Tennet für den Betrieb des Umspannwerkes an die Stadt Waldeck zwar, doch neue Arbeitsplätze entstünden nicht. Die Anlage werde ferngesteuert, abgesehen von Kontroll- und Wartungseinsätzen.
Der Hauptkritikpunkt aus Waldeck am 250 000 Quadratmeter umfassenden Umspannwerk betrifft die Standortwahl. Zwei mögliche Stellen in der weiträumigen Feldflur zwischen Netze und dem Stadtteil Waldeck sind aus Sicht von Tennet favorisiert.
„Wir leben hier von Natur und Tourismus und unsere Gäste wollen nicht auf so etwas schauen“, meinte Bürgermeister Jürgen Vollbracht. Er sprach sich persönlich erneut gegen das Vorhaben im Umfeld von Netze aus.
„Wir haben uns aktuell einen dritten Standort etwas weiter nördlich angesehen“, kommentierte Tennet-Projektleiter Alexander Chambour. Im weiteren Planungsprozess muss sich zeigen, ob eine Lösung „im Konsens mit der Region“ möglich wird, wie sie Tennet laut Marco Bräuer anstrebt – und ob sich die aus Sicht der Netzer schlechtesten Standorte vermeiden lassen.
Im Grundsatz aber führt laut Tennet kein Weg an diesem Umspannwerk in dieser Größe im Umfeld von Netze vorbei, ergab sich aus den Erläuterungen des Ingenieurs Alexander Chambour zu Technik und Planung: „Am liebsten wäre uns Affoldern gewesen, direkt an unserem dortigen Umspannwerk wegen des kürzesten Weges.“
Doch dort wie an anderen, erwogenen Orten tauchten zu viele und zu große Hindernisse für die Genehmigung auf, unter anderem seitens des Naturschutzes. Das hätten die Untersuchungen eines beauftragten Fachbüros ergeben. Gegen Sachsenhausen als Alternative spreche der höhere Kosten- und Zeitaufwand, weil unter anderem der Bau neuer Freileitungen für den Anschluss nötig wäre.
„Was passiert, wenn Sie die benötigten Flächen nicht bekommen, weil Eigentümer nicht verkaufen?“, fragte Planungsausschussvorsitzender Philipp Litschel. Die Bundesnetzagentur schreibe in ihrem Netzentwicklungplan (NEP) ein solches Umspannwerk in der Region vor; eine Vorgabe mit Gesetzeskraft, entgegnete Chambour. Tennet müsse sich daran halten.
Im Zweifel gebe es eine „Planfeststellung“ durch die Bundesnetzagentur. In letzter Konsequenz liefe diese Feststellung auf eine Enteignung von Grundstückseigentümern hinaus, „aber genau das wollen wir vermeiden“, unterstrich Marco Bräuer.

Größe der Anlage ergibt sich zwangsläufig aus ihren Aufgaben

Die zwei zentralen Aufgaben des Umspannwerkes: Den Strom der 380 Kilovolt-Leitungen von Tennet umspannen auf die 110-KV-Leitungen des Betreibers Avaco in der Region. Durch Phasenschieber-Transformatoren mit ihrer „Ventilfunktion“ die Leitungen im gesamten Stromnetz gleichmäßig auslasten, speziell, um die Tennet-Hauptleitung Twistetal-Borken vor Überlastung zu schützen.
Um diese Aufgaben zu erfüllen und Versorgungssicherheit zu schaffen, brauche es technisch, etwa wegen der Isolationsabstände zwischen den Elementen, eine 25 Hektar großen Anlage, was einem Quadrat von 500 Metern Seitenlänge entspricht. Ein darüber hinaus reichender Ausbau der Anlage sei auf absehbare Zeit nicht vorgesehen. Anlagen dieser Größe zu diesem Zweck seien Standard. In Twistetal reiche der Platz für eine Erweiterung nicht aus.
Der Strombedarf Hessens steige von 36,6 Terrawattstunden 2021 auf erwartete 93 Terrawattstunden 2045. Der weiter wachsende Anteil der Erneuerbaren erfordere das Ertüchtigen der Transportleitungen und der dazugehörigen Anlagen.  su

Einflüsse auf Umwelt

Die elektromagnetische Strahlung liege am Zaun der Anlage bei einem Fünftel des gesetzlichen Höchstwertes, sagt Alexander Chambour. Nachts bleibe die Anlage unbeleuchtet. Am Tag erscheine sie mit ihrem kleinen Funktionsbau transparent, ganz anders als eine Lagerhalle ähnlicher Dimension.
Am meisten fielen die „Portale“ auf, die 20 Meter hohen Strommasten, die das Werk ans Netz anbinden. Es sei trocken. Nur in den Transformatoren finde sich Öl. Unterbaute Wannen schützten den Boden gegen Undichtigkeiten.
400 Meter Minimalabstand zu Häusern seien vorgeschrieben. Die Anlage gebe in dieser Entfernung Geräusche bis zu 34 dbA ab. Zum Vergleich: Flüstern wird mit 30 dbA angesetzt, ein normales Gespräch mit 60 dbA. Über das Gelände führt aktuell ein Bach, doch dieses Problem lasse sich lösen, sagt Chambour. Naturschutz-Ausgleichsprojekte für den Flächenverbrauch seien Pflicht. Das Begrünen einer Seite der Anlage etwa hält der Ingenieur für ein denkbares Element des Ausgleichs.  su