2024 WLZ 02. 01. Sprungbrett für Luchse nach Hessen
In Thüringen werden 20 Tieren ausgewildert – Mit „Frida“ geht es im Mai los VON BORIS NAUMANN
Nur noch rund 130 Luchse gibt es in Deutschland, die sich auf drei getrennte Einzelpopulationen verteilen. Die geplante Auswilderung von 20 Tieren im Thüringer Wald bis zum Jahr 2028 könnte auch neue Impulse für Nordhessen setzen, wo es schon seit vier Jahren keine sesshaften Luchse mehr gibt. Foto: Tanja Meißer
Kreis Kassel – Nach der Sichtung einer Luchsfamilie im Reinhardswald im Laufe des Jahres 2023 (wir berichteten), steigen die Chancen für eine dauerhafte Neuansiedlung von Luchsen in Nordhessen weiter an. Wie die Uni Göttingen mitteilt, wird noch in diesem Frühjahr der erste Luchs im Bereich des mittleren Thüringer Waldes bei Oberhof ausgewildert. „Im Mai ist es soweit“, sagt Luchsforscher Markus Port von der Uni Göttingen, der das vom Thüringer Umweltministerium mit 2,9 Millionen Euro geförderte Auswilderungsprojekt für den BUND koordiniert.
Bei dem ersten Tier handele es sich um ein zwei Jahre altes Weibchen, das im Wildkatzendorf Hütscheroda im Nationalpark Hainich geboren wurde und unter naturnahen Bedingungen ohne Kontakt zu Menschen aufgewachsen ist. „Der Luchs heißt Frida“, sagt Port, „und damit Frida künftig nicht alleine durch den Thüringer Wald streifen muss, werden wir bald darauf auch ein junges Männchen in die Freiheit entlassen.“
Bei dem Männchen, einem sogenannten Kuder, handele es sich wiederum um einen Wildfang aus Rumänien (Karpaten). „Wir machen das, um auch genetisch eine optimale Durchmischung hinzubekommen“, sagt Port. Ziel sei es letztlich, dass sich die beiden Tiere in ihrer neuen Umgebung finden und eine Familie gründen. Deren Nachkommen könnten dann wieder durch Wanderbewegungen eine genetische Brücke zu den Populationen in Bayern und im Harz schlagen, die dort bislang isoliert voneinander leben. „Der genetische Austausch ist von großer Bedeutung, um langfristig Inzucht und genetische Verarmung zu vermeiden“, erklärt der Wissenschaftler.
Die Auswilderung der ersten beiden Luchse im Thüringer Wald ist erst der Anfang. „In den kommenden vier Jahren sollen bis zu 18 weitere Luchse hinzukommen“, sagt Port. Ziel sei es, auf diese Weise auch die Ausbreitung des Luchses in Mitteldeutschland zu fördern. „Mit dieser Bestandsstützung wird es sehr wahrscheinlich sein, dass Luchse durch Zuwanderung vom Thüringer Wald auch wieder in Nordhessen sesshaft werden“, stellt Port in Aussicht. Die letzten sesshaften Tiere seien vor etwa vier Jahren in der Region bei Sontra verschwunden.
Untersuchungen hätten ergeben, dass sich vor allem der Thüringer Wald als Sprungbrett für die weitere Verbreitung von Luchsen in Mitteldeutschland sehr gut eigne. Aktuell gebe es nur Vorkommen im Bayerischen Wald, im Harz und im Pfälzer Wald mit insgesamt rund 130 Tieren. Eine Wiederansiedlung des Luchses im Thüringer Wald würde zunächst eine Verbindung zwischen den Populationen im Harz und im Bayerischen Wald herstellen. „Gelingt diese Vernetzung, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Luchse auch wieder in Nordhessen ansiedeln werden“, sagt Port.
Zudem mache der Korridor Harz-Solling-Reinhardswald Hoffnung. Denn die im Jahr 2023 im Reinhardswald gesichtete Luchsfamilie stammte aus dem Harz. „Falls sich Luchse im Reinhardwald dauerhaft etablieren, können sie auch vor dort aus zuerst in den Kaufunger Wald und dann weiter nach Süden vordringen“, sagt Port. Jüngste Sichtungen von einzeln umherziehenden Kudern zum Beispiel im Stiftswald machten Hoffnung.
Die Auswilderung der Luchse im Thüringer Wald wird mit großer Sorgfalt vorbereitet. Im Wildkatzendorf Hütscheroda geborene und aufgewachsene Luchse werden vor ihrer Freilassung noch einmal für ein Jahr in ein spezielles Gehege entlassen. Dort sind sie von ihren Eltern getrennt und „üben das Überleben in sehr naturnaher Umgebung“, erklärt Port. Erst nach dieser „Schule“ seien die Katzen für das sogenannte Soft-Release-Gehege (dtsch. sanfte Befreiung) bereit, um dort noch einmal für einige Wochen den letzten Schritt in die Wildnis zu üben.
Die Wiederansiedlung von Luchsen ist deshalb wichtig, weil vor allem die weiblichen Tiere nicht besonders zugfreudig sind. Doch sind sie es, die das Gerüst für neue Populationen bilden. Im Regelfall siedeln sich junge Weibchen nur in der Nachbarschaft anderer Weibchen an. Die Kuder ziehen zwar weit umher, kehren aber meist immer wieder dorthin zurück, wo es Weibchen gibt.
Genau das war in Nordhessen passiert. Nachdem 2015 wegen der Fuchsräude fast der ganze Bestand im Kaufunger Wald und in der Söhre an der Fuchsräude zugrundegegangen war, zogen in der Zeit danach nur noch Männchen durch die heimischen Wälder. Doch blieben sie nie lange, es fehlte an Weibchen. Foto: Universität Göttingen
Seit 2020 keine sesshaften Luchse in Nordhessen mehr
Seit etwa vier Jahren gibt es in Nordhessen keine sesshaften Luchse mehr. Luchsmännchen Yuki wanderte im Frühjahr 2018 aus der Söhre in den Harz ab, und wurde dort von einem Auto überrollt. Kuder Felux ist seit Sommer 2018 spurlos aus dem Kaufunger Wald verschwunden.
Zu diesem Zeitpunkt fehlten schon seit Jahren Luchsweibchen, sie waren ab 2015 von der Fuchsräude (einer Hauterkrankung) dahingerafft worden. Nur noch ein Luchsmännchen bei Sontra, Ludo, galt in Nordhessen als sesshaft. Doch auch er verschwand 2020 spurlos. Seither wurden bis heute in Nordhessen nur noch Umherzügler beobachtet. Aufsehen erregten Ende 2019 vier Jungtiere im Reinhardswald. Doch auch hier zeigte sich: Die Familie war aus dem Solling gekommen und nur kurz zu Besuch.
Im Januar 2020 zogen sich die Tiere wieder in den Solling zurück. Erst wieder im Jahr 2023 wurde erneut mindestens eine Luchsfamilie im Reinhardswald beobachtet. Markus Port von der Universität Göttingen geht davon aus, dass der Reinhardswald mit Solling und Bramwald zu einem neuen Luchsgebiet geworden ist. „Ob die Luchse jetzt im Reinhardswald bleiben, wird beobachtet“, sagt er. bon