2023 WLZ 13. 11. Gefahren für Fische steigen

EDERSEE Wasserreserve reicht laut Experten nicht aus

VON BARBARA LIESE

Andreas Rohn Fischwirtschaftsmeister

Vöhl-Ederbringhausen Artenvielfalt, die Entwicklung einzelner Fischarten im Edersee, die Wechselwirkung mit dem Lebensraum Obere Eder und als Dauerproblem der von außen gesteuerte Wasserstand: Für Fischwirtschaftsmeister Andreas Rohn und Christoph Dümpelmann, Diplom-Biologe und Vorsitzender der Interessengemeinschaft (IG) Edersee, sind diese Themen nicht grundsätzlich neu.
Die Entwicklungen, Auswirkungen und Veränderungen der vergangenen Jahre machen aus ihrer Sicht allerdings deutlich, wie zerbrechlich die Lebensgemeinschaft von Pflanzen, Tieren und Menschen sein kann, wenn ein funktionierendes Ökosystem gleichzeitig in unterschiedlichen Bereichen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor der Region ist. Darauf gingen sie bei einer Info-Veranstaltung in der Orketalhalle in Ederbringhausen ein.
Das jährliche Monitoring, des Fischbestandes, einzelner Fischarten und deren Entwicklung ist bei keinem anderen Gewässer so umfangreich und aufwendig wie an Edersee und Oberer Eder. In diesem Jahr wurden 36 Fischarten gezählt – ein großer Artenreichtum, der aber nicht über die Probleme einzelner Arten und dem Gesamtbestand hinwegtäuschen kann. Im Zusammenhang mit dem immer wieder diskutierten niedrigen Wasserstand des Sees werden in Trockenzeiten die Folgen für den Fischbestand und die Veränderungen deutlich sichtbar.
„Unsere Fische brauchen für die Laichzeit und das erste Jahr der Jungtiere deutlich mehr als die im Augenblick festgelegte Mindestwasserreserve von nur 20 Millionen Kubikmetern“, erklärt Rohn: „Wir müssen davon ausgehen, dass wir künftig immer wieder heiße Sommer mit wenig Regen und vermehrt mit natürlichen Niedrigwassersituationen im Edersee zu rechnen haben. Im Verbund mit der Oberen Eder könnte der See dieses Phänomen selbst auf natürliche Weise lösen.“
Komme der wirtschaftlich gewollte Wasserablass hinzu, hätten Natur und Fische keine Chance mehr. „Wird die Menge der Wasserreserve nicht mindestens verdoppelt, müssen wir sehr bald mit einem Super-Gau rechnen. Dann liegen 20 Millionen Tonnen toter Fische weithin sichtbar auf dem Grund des Sees“, so Rohn. ➔ SEITE 2

Interessengemeinschaft Edersee

Ziele des Vereins sind: Optimierung des Fischbestandes und Umsetzung von Maßnahmen für eine ökologisch orientierte fischereiliche Bewirtschaftung am Edersee; Erhalt und Verbesserung der Wandermöglichkeit der Fische in die Laichgebiete; Stärkung der Region durch Nutzung der regionalen Ressource „Angeltourismus“; Ausweitung von speziellen Angeboten für Angler und Naturfreunde. Nicht zuständig ist die IG Edersee für den Wasserstand und Angelscheine. bl ig-edersee.de

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VON BARBARA LIESE

Idyll und komplexes Ökosystem: Der Edersee steht im Mittelpunkt vieler Interessen. Fotos: Barbara Liese

Vöhl-Ederbringhausen Sie haben alle wirtschaftlich unterschiedliche Interessen: Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Weser, Pächter des Fischereirechts, der Naturpark Kellerwald-Edersee, die Obere Fischereibehörde, die Gewerbetreibenden rund um den See und nicht zuletzt der Tourismus. Das ökologische Gleichgewicht, Flora und Fauna stehen im Mittelpunkt der Naturschützer. Diese in vielen Bereichen auch gegensätzlichen Bestrebungen auf einen gemeinsamen Weg zu führen, ist die schwierige Aufgabe aller Beteiligten.

Eingeladen zu einer Informationsveranstaltung in die Orketalhalle nach Ederbringhausen hatten die IG Edersee, der Angelverein Ederbringhausen und der Fischereiverein Kirchlotheim/Schmittlotheim. Gekommen waren vor allem Anrainer, Gewerbetreibender und Angler – als Zuhörer auch Jörg Roth, im Naturpark Edersee zuständig für Fischerei und Verwaltung sowie Christoph Laczny von der Oberen Fischereibehörde des Regierungspräsidiums Kassel.

„Es ist wichtig, dass wir gemeinsam im Sinne unserer Region den ökologischen Verbund Edersee/Obere Eder beobachten, beschreiben und bewerten“, sagte Rolf Zölzer, Vorsitzender des Fischereivereins Kirchlotheim/Schmittlotheim: „Nur so erkennen wir frühzeitig positive und negative Veränderungen, die zukünftig die Gewässer beeinflussen. Nur so können wir auch gemeinsam handeln.“

Mit einem Rückblick und einer aktuellen Beschreibung des Edersees und seiner Fische eröffnete Christoph Dümpelmann den Informationsabend. „Die 1914 eröffnete Staumauer sollte für die Wasserzufuhr der Weserschifffahrt und des Mittellandkanals in den Sommermonaten und dem Hochwasserschutz genutzt werden. Zugleich war der neu entstandene Stausee ein massiver Eingriff in das Fließgewässer Eder, in der damals noch Wanderfische wie Lachse und Meerforellen gefangen werden konnten“, berichtete der Diplom-Biologe und Vorsitzende der IG Edersee.

Welche Fische die große Veränderung überlebten oder sich neu etablierten, habe in dieser Zeit niemanden interessiert. In der Folge seien auch Fischarten, wie zum Beispiel Rapfen oder Welse, ausgesetzt worden, die niemals auf natürliche Weise im Edersee heimisch würden, sich jetzt dort aber sehr wohlfühlten. Sogar Regenbogenforellen wurden laut Dümpelmann gefangen und Goldfische wurden ausgesetzt. „Es wurde alles in den See geworfen, was schwimmen konnte“, sagte er.

Mit knappen Worten kommentierte Andreas Rohn diese Situation. Mit der Verpachtung der Fischereirechte an den Naturpark Kellerwald, der auch die Angelscheine vergibt, sei der Besatz von Fischen nach und nach eingestellt worden. Alle Fische, die jetzt im See schwimmen, könnten sich dort auf natürliche Weise reproduzieren. Einige Fische, wie Aale, die Ab- und Zuwanderung während der Laichzeit durch die Sperrmauer und die Turbinen oft nicht überlebten, oder Barsche, die sich im See nicht vermehren könnten, würden in Zukunft verschwinden. In ausgewiesenen Schonzeiten könnten sich einige Fischbestände zudem erholen.

„Wir brauchen mindestens 40 Millionen Kubikmeter“

„Grundsätzlich ist der See, gerade in Verbindung mit der Oberen Eder ein idealer Lebensraum für viele Fische“, berichtete Christoph Dümpelmann bei der Informationsveranstaltung in Ederbringhausen. „Die auf dem Grund liegenden Geröllreste vom Bau der Sperrmauer, ein Uferbereich, der genügend Deckung durch Pflanzen gibt, die Obere Eder, die unter anderem dem Rapfen einen maßgeschneiderten Laichplatz bietet oder die Möglichkeit, die es dem Aland möglich macht, je nach Temperatur zwischen dem Fließgewässer und dem See zu pendeln: Das alles sind neben den überstauten Ufervegetationen beste Bedingungen.“ Auf den pflanzenreichen Flachwasserzonen könne sich Zooplankton optimal entwickeln – eine für viele Fischlarven und Jungfische lebensnotwendige Nahrungsgrundlage. Der Edersee habe durch diese Besonderheiten, das größte Laichgebiet für Hechte in Hessen.

Es könnte, so Dümpelmanns Fazit, alles in Ordnung sein, wären da nicht immer wieder der niedrige Wasserstand und der trockene See. Das Wasser des Edersees versorge nicht mehr nur die Bundeswasserstraßen, damit sie schiffbar blieben, sondern entlaste noch bis Ende 2027 auch die Einleitungen der Düngemittelhersteller K+S Salzabwässer in Werra und Weser. „Wir brauchen für den Fischbestand und das ökologische Gleichgewicht einen Wasserstand von mindestens 40 Millionen Kubikmetern und bis Ende August sogar besser mehr“, sagte Dümpelmann.

Andreas Rohn warnte vor einem riskanten Betriebsmanagement. „Eine Restwassermenge, der sogenannte eiserner Bestand von nur 20 Millionen Kubikmetern, reicht nicht aus. Mit einem gleichzeitig auftretendem sehr hohen pH-Wert ist auf längere Sicht ein Fischsterben im Edersee nicht ausgeschlossen.“ Je länger eine solche Situation andauere, umso größer könnten die Probleme für den Fischbestand werden. Rohne: „Wir werden aber weiterhin alles tun für den See. Wir bleiben dran.“ bl